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Das
fremde Kind
Kapitel 3: Wie es weiter bei dem vornehmen Besuche herging, Seite 1 ( von 2 )
ETA Hoffmann
Der hagere Mann, Cyprianus von Brakel geheißen, war zwar der leibliche
Vetter des Herrn Thaddäus von Brakel, indessen weit vornehmer als dieser.
Denn außerdem, dass er den Grafentitel führte, trug er auch auf
jedem Rock, ja sogar auf dem Pudermantel einen großen silbernen Stern.
Deshalb hatte, als er schon ein Jahr früher, jedoch ganz allein, ohne die
dicke Dame, die seine Frau war, und ohne die Kinder, bei dem Herrn
Thaddäus von Brakel, seinem Vetter, auf eine Stunde einsprach, Felix ihn
auch gefragt: "Hör' mal, gnädiger Herr Onkel, du bist wohl
König geworden?" Felix hatte nämlich in seinem Bilderbuche einen
abgemalten König, der einen dergleichen Stern auf der Brust trug, und so
musste er wohl glauben, dass der Onkel nun auch König geworden sei, weil
er das Zeichen trug. Der Onkel hatte damals sehr über die Frage gelacht
und geantwortet: "Nein mein Söhnchen, König bin ich nicht, aber
des Königs treuster Diener und Minister, der über viele Leute
regiert. Gehörtest du zu der Gräflich von Brakelschen Linie, so
könntest du vielleicht auch künftig solch einen Stern tragen wie ich,
aber so bist du freilich nur ein simpler Von, aus dem nicht viel Rechtes werden
wird." Felix hatte den Onkel gar nicht verstanden, und Herr Thaddäus
von Brakel meinte, das sei auch gar nicht vonnöten. - Jetzt erzählte
der Onkel seiner dicken Frau, wie ihn Felix für den König gehalten,
da rief sie: "O süße, liebe rührende Unschuld!" Und
nun mussten beide, Felix und Christlieb, hervor aus dem Winkel, wo sie unter
Kichern und Lachen den Kuchen verzehrt hatten. Die Mutter säuberte beiden
sogleich den Mund von manchen Kuchenkrumen und Rosinenresten und übergab
sie so dem gnädigen Onkel und der gnädigen Tante, die sie unter
lauten Ausrufungen: "O süße liebe Natur, o ländliche
Unschuld!" küssten und ihnen große Tüten in die Hände
drückten. Dem Herrn Thaddäus von Brakel und seiner Frau standen die
Tränen in den Augen über die Güte der vornehmen Verwandten.
Felix hatte indessen die Tüte geöffnet und Bonbons darin gefunden,
auf die er tapfer zubiss, welches ihm Christlieb sogleich nachmachte.
"Söhnchen, mein Söhnchen," rief der gnädige Onkel,
"so geht das nicht, du verdirbst dir ja die Zähne, du musst fein so
lange an dem Zuckerwerke lutschen, bis es im Munde zergeht." Da lachte
aber Felix beinahe laut auf und sprach: "Ei lieber gnädiger Onkel,
glaubst du denn, dass ich ein kleines Wickelkind bin und lutschen muss, weil
ich noch keine tüchtige Zähne habe zum Beißen?" Und damit
steckte er ein neues Bonbon in den Mund und biss so gewaltig zu, dass es
knitterte und knatterte. "O liebliche Naivität", rief die dicke
Dame, der Onkel stimmte ein, aber dem Herrn Thaddäus standen die
Schweißtropfen auf der Strine; er war über Felixens Unart ganz
beschämt, und die Mutter raunte ihm ins Ohr: "Knirsche nicht so mit
den Zähnen, unartiger Junge!" Das machte den armen Felix, der nichts
Übles zu tun glaubte, ganz bestürzt, er nahm das noch nicht ganz
verzehrte Bonbon langsam aus dem Munde, legte es in die Tüte und reichte
diese dem Onkel hin, indem er sprach: "Nimm nur deinen Zucker wieder mit,
wenn ich ihn nicht essen soll!" Christlieb, gewohnt, in allem Felixens
Beispiel zu folgen, tat mit ihrer Tüte dasselbe. Das war dem Herrn
Thaddäus zu arg, er brach los: "Ach mein geehrtester gnädiger
Herr Vetter, halten Sie nur dem einfältigen Jungen die Tölpelei
zugute, aber freilich auf dem Lande und in so beschränkten
Verhältnissen - Ach, wer nur solche gesittete Kinder erziehen könnte
wie Sie!" - Der Graf Cyprianus lächelte selbstgefällig und
vornehm, indem er auf Hermann und Adelgunden hinblickte. Die hatten längst
ihren Zwieback verzehrt und saßen nun stumm und still auf ihren
Stühlen, ohne eine Miene zu verziehen, ohne sich zu rühren und zu
regen. Die dicke Dame lächelte ebenfalls, indem sie lispelte: "Ja,
lieber Herr Vetter, die Erziehung unserer lieben Kinder liegt uns mehr als
alles am Herzen."
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