|
Das
fremde Kind
Kapitel 11: Wie der Hofmeister angekommen war und die Kinder sich vor ihm
fürchteten, Seite 1 ( von 2 )
ETA Hoffmann
In vollem Sprunge eilten Felix und Christlieb nach Hause, indem sie
unaufhörlich riefen: "Ach, das fremde Kind ist ein schöner
Prinz!" - "Ach, das fremde Kind ist eine schöne
Prinzessin!" Sie wollten das jauchzend den Eltern verkünden, aber wie
zur Bildsäule erstarrt, blieben sie in der Haustüre stehen, als ihnen
Herr Thaddäus von Brakel entgegentrat und an seiner Seite einen fremden
verwunderlichen Mann hatte, der halb vernehmlich in sich hineinbrummte:
"Das sind mir saubere Rangen!" - "Das ist der Herr
Hofmeister," sprach Herr von Brakel, indem er den Mann bei der Hand
ergriff, "das ist der Herr Hofmeister, den euch der gnädige Onkel
geschickt hat. Grüßt ihn fein artig!" - Aber die Kinder sahen
den Mann von der Seite an und konnten sich nicht regen und bewegen. Das kam
daher, weil sie solch eine wunderliche Gestalt noch niemals geschaut. Der Mann
mochte kaum mehr als einen halben Kopf höher sein als Felix, dabei war er
aber untersetzt; nur stachen gegen den sehr starken breiten Leib die kleinen,
ganz dünnen Spinnenbeinchen seltsam ab. Der unförmliche Kopf war
beinahe viereckig zu nennen, und das Gesicht fast gar zu hässlich, denn
außerdem, dass zu den dicken braunroten Backen und dem breiten Maule die
viel zu lange spitze Nase gar nicht passen wollte, so glänzten auch die
kleinen hervorstehenden Glasaugen so graulich, dass man ihn gar nicht gern
ansehen mochte. Übrigens hatte der Mann eine pechschwarze Perücke auf
den viereckigen Kopf gestülpt, war auch von Kopf bis zu Fuß
pechschwarz gekleidet und hieß: Magister Tinte. Als nun die Kinder sich
nicht rückten und rührten, wurde die Frau von Brakel böse und
rief: "Potztausend, ihr Kinder, was ist denn das? Der Herr Magister wird
euch für ganz ungeschliffene Bauernkinder halten müssen. - Fort! gebt
dem Herrn Magister fein die Hand!" Die Kinder ermannten sich und taten,
was die Mutter befohlen, sprangen aber, als der Magister ihre Hände
fasste, mit dem lauten Schrei: "O weh, o weh!" zurück. Der
Magister lachte hell auf und zeigte eine heimlich in der Hand versteckte Nadel
vor, womit er die Kinder, als sie ihm die Hände reichten, gestochen.
Christlieb weinte, Felix aber grollte den Magister von der Seite an:
"Versuche das nur noch einmal, kleiner Dickbauch." - "Warum
taten Sie das, lieber Herr Magister Tinte?" fragte etwas missmutig der
Herr von Brakel. Der Magister erwiderte: "Das ist nun einmal so meine Art,
ich kann davon gar nicht lassen." Und dabei stemmte er beide Hände in
die Seite und lachte immerfort, welches aber zuletzt so widerlich klang wie der
Ton einer verdorbenen Schnarre. "Sie scheinen ein spaßhafter Mann zu
sein, lieber Herr Magister Tinte", sprach der Herr von Brakel, aber ihm
sowohl als der Frau von Brakel, vorzüglich den Kindern wurde ganz
unheimlich zumute. "Nun, nun," rief der Magister, "wie steht's
denn mit den kleinen Krabben, schon tüchtig in den Wisschenschaften
vorgerückt? - Wollen doch gleich sehen." - Damit fing er an, den
Felix und die Christlieb so zu fragen, wie es der Onkel Graf mit seinen Kindern
getan. Als nun aber beide versicherten, dass sie die Wissenschaften noch gar
nicht auswendig wüssten, da schlug der Magister Tinte die Hände
über dem Kopf zusammen, dass es klatschte, und schrie wie besessen:
"Das ist was Schönes! - keine Wissenschaften. - Das wird Arbeit
geben! Wollen's aber schon kriegen!" Felix sowie Christlieb, beide
schrieben eine saubere Handschrift und wußten aus manchen alten
Büchern, die ihnen der Herr von Brakel in die Hände gab und die sie
emsig lasen, manche schöne Geschichte zu erzählen, das achtete aber
der Magister Tinte für gar nichts, sondern meinte, das alles wäre nur
dummes Zeug. - Ach! nun war an kein In-den-Wald-laufen mehr zu denken! - Statt
dessen mussten die Kinder beinahe den ganzen Tag zwischen den vier Wänden
sitzen und dem Magister Tinte Dinge nachplappern, die sie nicht verstanden. Es
war ein wahres Herzeleid! - Mit welchen sehnsuchtsvollen Blicken schauten sie
nach dem Walde!
|
|