|
Das
fremde Kind
Kapitel 1: Der Herr von Brakel auf Brakelheim, Seite 1 ( von 1 )
ETA Hoffmann
Es war einmal ein Edelmann, der hieß Thaddäus von Brakel und wohnte
in dem kleinen Dörfchen Brakelheim, das er von seinem verstorbenem Vater,
dem alten Herrn von Brakel, geerbt hatte und das mithin sein Eigentum war. Die
vier Bauern, die außer ihm noch in dem Dörfchen wohnten, nannten ihn
den gnädigen Herrn, unerachtet er wie sie mit schlicht ausgekämmten
Haaren einherging und nur Sonntags, wenn er mit seiner Frau und seinen beiden
Kindern, Felix und Christlieb geheißen, nach dem benachbarten
großen Dorfe zur Kirche fuhr, statt der groben Tuchjacke, die er sonst
trug, ein feines grünes Kleid und eine rote Weste mit goldnen Tressen
anlegte, welches ihm recht gut stand. Eben dieselben Bauern pflegten auch,
fragte man sie: "Wo komme ich denn hin zum Herrn von Brakel?" jedes
Mal zu antworten: "Nur immer vorwärts durch das Dorf den Hügel
herauf, wo die Birken stehen, da ist des gnädigen Herrn sein
Schloss!" Nun weiß doch aber jedermann, dass ein Schloss ein
großes hohes Gebäude sein muss mit vielen Fenstern und Türen,
ja wohl gar mit Türmen und funkelnden Windfahnen, von dem allen war aber
auf dem Hügel mit den Birken gar nichts zu spüren, vielmehr stand da
nur ein niedriges Häuschen mit wenigen kleinen Fenstern, das man kaum
früher, als dicht davor angekommen, erblicken konnte. Geschieht es aber
wohl, dass man vor dem hohen Tor eines großen Schlosses plötzlich
stillsteht und, angehaucht von der herausströmenden eiskalten Luft,
angestarrt von den toten Augen der seltsamen Steinbilder, die wie grauliche
Wächter sich an die Mauer lehnen, alle Lust verliert hineinzugehen,
sondern lieber umkehrt, so war das bei dem kleinen Hause des Herrn
Thaddäus von Brakel ganz und gar nicht der Fall. Hatten nämlich schon
im Wäldchen die schönen schlanken Birken mit ihren belaubten
Ästen, wie mit zum Gruß ausgestreckten Armen uns freundlich
zugewinkt, hatten sie im frohen Rauschen und Säuseln uns zugewispert:
"Willkommen, willkommen unter uns!" so war es denn nun vollends bei
dem Hause, als riefen holde Stimmen aus den spiegelhellen Fenstern, ja
überall aus dem dunklen dicken Weinlaube, das die Mauern bis zum Dach
herauf bekleidete, süßtönend heraus: "Komm doch nur
herein, komm doch nur herein, du lieber müder Wanderer, hier ist es gar
hübsch und gastlich!" Das bestätigten denn auch die Nest hinein,
Nest hinaus lustig zwitschernden Schwalben, und der alte stattliche Storch
schaute ernst und klug vom Rauchfange herab und sprach: "Ich wohne nun
schon manches liebe Jahr hindurch zur Sommerszeit hier, aber ein besseres
Logement finde ich nicht auf Erden, und könnte ich nur die mir angeborne
Reiselust bezwingen, wär's nur nicht zur Winterszeit hier so kalt und das
Holz so teuer, niemals rührt' ich mich von der Stelle." - So anmutig
und hübsch, wenn auch gleich gar kein Schloss, war das Haus des Herrn von
Brakel.
|
|