|
Das
fremde Kind
Kapitel 15: Beschluss, Seite 1 ( von 2 )
ETA Hoffmann
"Ich weiß nicht," sprach der Herr Thaddäus von Brakel
eines Tages zu der Frau von Brakel, "ich weiß nicht, wie mir seit
einigen Tagen so seltsam und wunderlich zumute ist. Beinahe möchte ich
glauben, dass der böse Magister Tinte mir es angetan hat, denn seit dem
Augenblick, als ich ihm eins mit der Fliegenklatsche versetzte und ihn
forttrieb, liegt es mir in allen Gliedern wie Blei." In der Tat wurde auch
der Herr von Brakel mit jedem Tage matter und blässer. Er durchstrich
nicht mehr wie sonst die Flur, er polterte und wirtschaftete nicht mehr im
Hause umher, sondern saß stundenlang in tiefe Gedanken versenkt, und dann
ließ er sich von Felix und Christlieb erzählen, wie es sich mit dem
fremden Kinde begeben. Sprachen die denn nun recht mit vollem Eifer von den
herrlichen Wundern des fremden Kindes, von dem prächtigen glänzenden
Reiche, wo es zu Hause, dann lächelte er wehmütig, und die
Tränen traten ihm in die Augen. Darüber konnten sich Felix und
Christlieb aber gar nicht zufrieden geben, dass das fremde Kind nun davon
bleibe und sie der Quälerei des hässlichen Puppen im Gebüsch und
im Ententeich bloßstellte, weshalb sie gar nicht mehr sich in den Wald
wagen möchten. "Kommt, meine Kinder, wir wollen zusammen in den Wald
gehen, die bösen Zöglinge des Herrn Magister Tinte sollen euch keinen
Schaden tun!" So sprach an einem schönen hellen Morgen der Herr von
Brakel zu Felix und Christlieb, nahm sie bei der Hand und ging mit ihnen in den
Wald, der heute mehr als jemals voller Glanz, Wohlgeruch und Gesang war. Als
sie sich ins weiche Gras unter duftenden Blumen gelagert hatten, fing der Herr
von Brakel in folgender Art an: "Ihr lieben Kinder, es liegt mir recht am
Herzen, und ich kann es nun gar nicht mehr aufschieben euch zu sagen, dass ich
ebenso gut wie ihr das holde fremde Kind, das euch hier im Walde so viel
Herrliches schauen ließ, kannte. Als ich so alt war wie ihr, hat es mich
so wie euch besucht und die wunderbarsten Spiele gespielt. Wie es mich dann
verlassen hat, darauf kann ich mich gar nicht besinnen, und es ist mir ganz
unerklärlich, wie ich das holde Kind so ganz und gar vergessen konnte,
dass ich, als ihr mir von seiner Erscheinung erzähltet, gar nicht daran
glaubte, wiewohl ich oftmals die Wahrheit davon leise ahnte. Seit einigen Tagen
gedenke ich aber so lebhaft meiner schönen Jugendzeit, wie ich es seit
vielen Jahren gar nicht vermochte. Da ist denn auch das holde Zauberkind so
glänzend und herrlich, wie ihr es geschaut habt, mir in den Sinn gekommen,
und dieselbe Sehnsucht, von der ihr ergriffen, erfüllt meine Brust, aber
sie wird mir das Herz zerreißen! - Ich fühl' es, dass ich zum
letzten Mal hier unter diesen schönen Bäumen und Büschen sitze,
ich werde euch bald verlassen, ihr Kinder! - Haltet, wenn ich tot bin, nur
recht fest an dem holden Kinde!" - Felix und Christlieb waren außer
sich vor Schmerz, sie weinten und jammerten und riefen laut: "Nein, Vater
- nein, Vater, du wirst nicht sterben, du wirst nicht sterben, du wirst nicht
lange, lange bei uns bleiben und so wie wir mit dem fremden Kinde
spielen!" - Aber Tages darauf lag der Herr von Brakel schon krank im
Bette. Es erschien ein langer hagerer Mann, der dem Herrn von Brakel an den
Puls fühlte und darauf sprach: "Das wird sich geben!" Es gab
sich aber nicht, sondern der Herr von Brakel war am dritten Tage tot. Ach, wie
jammerte die Frau von Brakel, wie rangen die Kinder die Hände, wie schrien
sie laut: "Ach, unser Vater - unser lieber Vater!" - Bald darauf, als
die vier Bauern von Brakelheim ihren Herrn zu Grabe getragen hatten, erschienen
ein paar hässliche Männer im Hause, die beinahe aussahen wie der
Magister Tinte. Die erklärten der Frau von Brakel, dass sie das ganze
Gütchen und alles im Hause in Beschlag nehmen müssten, weil der
verstorbene Herr Thaddäus von Brakel das alles und noch viel mehr dem
Herrn Grafen Cyprianus von Brakel schuldig geworden sei, der nun das Seinige
zurückverlange. So war denn nun die Frau von Brakel bettelarm geworden und
musste das schöne Dörfchen Brakelheim verlassen.
|
|