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Das
fremde Kind
Kapitel 9: Von der Heimat des fremden Kindes, Seite 1 ( von 2 )
ETA Hoffmann
Das fremde Kind hatte auf dem anmutigsten Platz im Walde zwischen
säuselndem Gebüsch, dem Bach unfern, ein überaus herrliches
Gezelt von hohen schlanken Lilien, glühenden Rosen und bunten Tulipanen
erbaut. Unter diesem Gezelt saßen mit dem fremden Kinde Felix und
Christlieb und horchten darauf, was der Waldbach allerlei seltsames Zeug
durcheinander plauderte. "Recht verstehe ich doch nicht," fing Felix
an, "was der dort unten erzählt, und es ist mir so, als wenn du
selbst, mein lieber, lieber Junge, alles, was er nur so unverständlich
murmelt, recht hübsch mir sagen könntest. Überhaupt möcht'
ich dich doch wohl fragen, wo du denn herkommst und wo du immer so schnell
hinverschwindest, dass wir selbst niemals wissen, wie das geschieht?" -
"Weißt du wohl, liebes Mädchen," fiel Christlieb ein,
"dass Mutter glaubt, du seist Schulmeisters Gottlieb?" "Schweig
doch nur, dummes Ding," rief Felix, "Mutter hat den lieben Knaben
niemals gesehen, sonst würde sie gar nicht von Schulmeisters Gottlieb
gesprochen haben. - Aber nun sage mir geschwind, du lieber Junge, wo du wohnst,
damit wir zu dir ins Haus kommen können zur Winterszeit, wenn es
stürmt und schneit und im Walde nicht Steg, nicht Weg zu finden ist."
"Ach ja!" sprach Christlieb, "nun musst du uns fein sagen, wo du
zu Hause bist, wer deine Eltern sind und hauptsächlich, wie du denn
eigentlich heißest." Das fremde Kind sah sehr ernst, beinahe traurig
vor sich hin und seufzte recht aus tiefer Brust. Dann, nachdem es einige
Augenblicke geschwiegen, fing es an: "Ach, liebe Kinder, warum fragt ihr
nach meiner Heimat? Ist es denn nicht genug, dass ich tagtäglich zu euch
komme und mit euch spiele? - Ich könnte euch sagen, dass ich dort hinter
den blauen Bergen, die wie krauses, zackigstes Nebelgewölk anzusehen sind,
zu Hause bin, aber wenn ihr tagelang und immer fort und fort laufen wolltet,
bis ihr auf den Bergen stündet, so würdet ihr wieder ebenso fern ein
neues Gebirge schauen, hinter dem ihr meine Heimat suchen müsstet, und
wenn ihr auch dieses Gebirge erreicht hättet, würdet ihr wiederum ein
neues erblicken, und so würde es euch immer fort und fort gehen, und ihr
würdet niemals meine Heimat erreichen." "Ach," rief
Christlieb weinerlich aus, "ach, so wohnst du wohl viele hundert, hundert
Meilen von uns und bist nur zum Besuch in unserer Gegend?" "Sieh nur,
liebe Christlieb!" fuhr das fremde Kind fort, "wenn du dich recht
herzlich nach mir sehnst, so bin ich gleich bei dir und bringe dir alle Spiele,
alle Wunder aus meiner Heimat mit, und ist denn das nicht ebenso gut, als ob
wir in meiner Heimat selbst zusammensäßen und miteinander
spielten?" "Das nun wohl eben nicht," sprach Felix, "denn
ich glaube, dass deine Heimat ein gar herrlicher Ort sein muss, ganz voll von
den herrlichen Dingen, die du uns mitbringst. Du magst mir nun die Reise dahin
so schwierig vorstellen, wie du willst, sowie ich es nur vermag, mache ich mich
doch auf den Weg. So durch Wälder streichen und auf ganz wilden
verwachsenen Pfaden Gebirge erklettern, durch Bäche waten, über
schroffes Gestein und dornicht Gestrüpp, das ist so recht Weidmanns Sache
- ich werd's schon durchführen." "Das wirst du auch," rief
das fremde Kind, indem es freudig lachte, "und wenn du es dir so recht
vornimmst, dann ist es so gut, als hättest du es schon wirklich
ausgeführt. Das Land, in dem ich wohne, ist in der Tat so schön und
herrlich, wie ich es gar nicht zu beschreiben vermag. Meine Mutter ist es, die
als Königin über dieses Reich voller Glanz und Pracht herrscht."
- "So bist du ja ein Prinz" - "So bist du ja eine
Prinzessin" - riefen zu gleicher Zeit verwundert, ja beinahe erschrocken,
Felix und Christlieb. "Allerdings", sprach das fremde Kind. "So
wohnst du wohl in einem schönen Palast?" fragte Felix weiter.
"Jawohl," erwiderte das fremde Kind, "noch viel schöner ist
der Palast meiner Mutter, als die glänzenden Schlösser, die du in den
Wolken geschaut hast, denn seine schlanken Säulen aus purem Kristall
erheben sich hoch - hoch hinein in das Himmelsblau, das auf ihnen ruht wie ein
weites Gewölbe.
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