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Das
fremde Kind
Kapitel 12: Wie die Kinder mit dem Herrn Magister Tinte im Walde spazieren
gingen und was sich dabei zutrug, Seite 1 ( von 2 )
ETA Hoffmann
"Nun? - gefällt es dir nicht in unserm Walde, Herr Magister?" So
frug Felix den Magister Tinte, als sie daherzogen durch das rauschende
Gebüsch. Der Magister Tinte zog aber ein saures Gesicht und rief:
"Dummes Zeug, hier ist kein ordentlicher Steg und Weg, man zerreißt
sich nur die Strümpfe und kann vor dem hässlichen Gekreisch der
dummen Vögel gar kein vernünftiges Wort sprechen." "Haha,
Herr Magister," sprach Felix, "ich merk' es schon, du verstehst dich
nicht auf den Gesang und hörst es auch wohl gar nicht einmal, wenn der
Morgenwind mit den Büschen plaudert und der alte Waldbach schöne
Märchen erzählt." "Und," fiel Christlieb dem Felix ins
Wort, "sag' es nur, Herr Magister, du liebst auch wohl nicht die
Blumen?" Da wurde der Herr Magister noch kirschbrauner im Antlitz, als er
schon von Natur war, er schlug mit den Händen um sich und schrie ganz
erbost: "Was sprecht ihr da für tolles albernes Zeug? - Wer hat euch
die Narrheiten in den Kopf gesetzt? Das fehlte noch, dass Wälder und
Bäche dreist genug wären, sich in vernünftige Gespräche zu
mischen, und mit dem Gesange der Vögel ist es auch nichts; Blumen lieb'
ich wohl, wenn sie fein in Töpfe gesteckt sind und in der Stube stehen,
dann duften sie, und man erspart das Räucherwerk. Doch im Walde wachsen ja
gar keine Blumen." "Aber Herr Magister," rief Christlieb,
"siehst du denn nicht die lieben Maiblümchen, die dich recht mit
hellen freundlichen Augen angucken?" - "Was, was," schrie der
Magister - "Blumen? Augen? - hahaha - schöne Augen - schöne
Augen! Die nichtsnutzigen Dinger riechen nicht einmal!" - Und damit
bückte sich der Magister Tinte zur Erde nieder, riss einen ganzen
Strauß Maiblümchen samt den Wurzeln heraus und warf ihn fort ins
Gebüsch. Den Kindern war es, als ginge in dem Augenblick ein
wehmütiger Klagelaut durch den Wald; Christlieb musste bitterlich weinen,
Felix biss unmutig die Zähne zusammen. Da geschah es, dass ein kleiner
Zeisig dem Magister Tinte dicht bei der Nase vorbeiflatterte, sich dann auf
einen Zweig setzte und ein lustiges Liedchen anstimmte. "Ich glaube
gar," sprach der Magister, "ich glaube gar, dass ist ein
Spottvogel?" Und damit nahm er einen Stein von der Erde auf, warf ihn nach
dem Zeisig und traf den armen Vogel, dass er, zum Tode verstummt, von dem
grünen Zweige herabfiel. Nun konnte Felix sich gar nicht mehr halten.
"Ei du abscheulicher Herr Magister Tinte," rief er ganz erbost,
"was hat dir der arme Vogel getan, dass du ihn totschmeißest? - Oh,
wo bist du denn, du holdes fremdes Kind, o komm doch nur, lass uns weit, weit
fortfliegen, ich mag nicht mehr bei dem garstigen Menschen sein; ich will fort
nach deiner Heimat!" - Und mit vollem Schluchzen und Weinen stimmte
Christlieb ein: "O du liebes holdes Kind, komm doch nur, komm doch nur zu
uns! Ach! Ach! - rette uns - rette uns, der Herr Magister Tinte macht uns ja
tot wie die Blumen und Vögel!" - "Was ist das mit dem fremden
Kinde?" rief der Magister. Aber in dem Augenblick säuselte es
stärker im Gebüsch, und in dem Säuseln erklangen wehmütige
herzzerschneidende Töne, wie von dumpfen, in weiter Ferne angeschlagenen
Glocken. - In einem leuchtenden Gewölk, das sich herabließ, wurde
das holde Antlitz des fremden Kindes sichtbar - dann schwebte es ganz hervor,
aber es rang die kleinen Händchen, und Tränen rannen wie
glänzende Perlen aus den holden Augen über die rosichten Wangen.
"Ach," jammerte das fremde Kind, "ach, ihr lieben Gespielen, ich
kann nicht mehr zu euch kommen - ihr werdet mich nicht wiedersehen - lebt wohl!
lebt wohl! - Der Gnome Pepser hat sich eurer bemächtigt, o ihr armen
Kinder, lebt wohl - lebt wohl!" - Und damit schwang sich das fremde Kind
hoch in die Lüfte. Aber hinter den Kindern brummte und summte und knarrte
und schnarrte es auf entsetzliche grausige Weise. Der Magister Tinte hatte sich
umgestaltet in eine große scheußliche Fliege, und recht abscheulich
war es, dass er dabei doch noch ein menschliches Gesicht und sogar auch einige
Kleidungsstücke behalten.
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