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Aschenputtel
Märchen der Gebrüder Grimm, Seite 1 ( von 4 )
Einem reichen Manne dem wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, dass
ihr Ende heran kam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und
sprach: "Liebes Kind, bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott
immer beistehen, und ich will vom Himmel auf dich herab blicken, und will um
dich sein." Darauf tat sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen
ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte, und blieb fromm und
gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf
das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es wieder herab gezogen hatte,
nahm sich der Mann eine andere Frau.
Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die schön und
weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging
eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. "Soll die dumme Gans
bei uns in der Stube sitzen!" sprachen sie, "wer Brot essen will,
muss es verdienen: hinaus mit der Küchenmagd." Sie nahmen ihm seine
schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen alten Kittel an, und gaben ihm
hölzerne Schuhe. "Seht einmal die stolze Prinzessin, wie sie geputzt
ist!" riefen sie, lachten und führten es in die Küche. Da musste
es von Morgen bis Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehen, Wasser
tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Obendrein taten ihm die Schwestern
alles ersinnliche Herzleid an, verspotteten es und schütteten ihm die
Erbsen und Linsen in die Asche, so dass es sitzen und sie wieder auslesen
musste. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett,
sondern musste sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer
staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.
Es trug sich zu, dass der Vater einmal in die Messe ziehen wollte, da fragte er
die beiden Stieftöchter was er ihnen mitbringen sollte? "Schöne
Kleider" sagten die eine, "Perlen und Edelsteine" die andere.
Aber du, Aschenputtel", sprach er, "was willst du haben?"
"Vater, das erste Reis, das euch auf eurem Heimweg an den Hut
stößt, das brecht für mich ab." Er kaufte nun für die
beiden Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem
Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte ihn ein
Haselreis und stieß ihm den Hut ab. Da brach er das Reis ab und nahm es
mit. Als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern was sie sich
gewünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch.
Aschenputtel dankte ihm, ging zu seiner Mutter Grab und pflanzte das Reis
darauf, und weinte so sehr, dass die Tränen darauf nieder fielen und es
begossen. Es wuchs aber, und ward ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle
Tage dreimal darunter, weinte und betete, und allemal kam ein weißes
Vöglein auf den Baum, und wenn es einen Wunsch aussprach, so warf ihm das
Vögelchen herab was es sich gewünscht hatte.
Es begab sich aber, dass der König ein Fest anstellte, das drei Tage
dauern sollte, und wozu alle schönen Jungfrauen im Lande eingeladen
wurden, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen möchte. Die zwei
Stiefschwestern als sie hörten dass sie auch dabei erscheinen sollten,
waren guter Dinge, riefen Aschenputtel , und sprachen: "Kämm uns die
Haare, bürste uns die Schuhe und mache uns die Schnallen fest, wir gehen
zur Hochzeit auf des Königs Schloss." Aschenputtel gehorchte, weinte
aber, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen wäre, und bat die Stiefmutter
sie möchte es ihm erlauben. "Du Aschenputtel", sprach sie,
"bist voll Staub und Schmutz und willst zur Hochzeit? Du hast keine
Kleider und Schuhe, und willst tanzen!" Als es aber mit Bitten anhielt,
sprach sie endlich "da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die Asche
geschüttet, wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so
sollst du mitgehen."
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