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Das
fremde Kind
Kapitel 10: Von dem bösen Minister am Hofe der Feenkönigin, Seite 1 (
von 2 )
ETA Hoffmann
"Überhaupt," fuhr das fremde Kind fort, "überhaupt
möchtet ihr euch in meiner Heimat vielleicht gar nicht so gut befinden,
als ihr es euch nach meiner Erzählung vorstellt. Ja, der Aufenthalt
könnte euch sogar verderblich sein. Manche Kinder vermögen nicht den
Gesang der purpurroten Vögel, so herrlich er auch ist, zu ertragen, so
dass er ihnen das Herz zerreißt, und sie augenblicklich sterben
müssen. Andere, die gar zu keck auf dem Regenbogen rennen, gleiten aus und
stürzen herab, und manche sind sogar albern genug, im besten Fliegen dem
Goldfasan, der sie trägt, weh zu tun. Das nimmt denn der sonst friedliche
Vogel dem dummen Kinde übel und reißt ihm mit seinem scharfen
Schnabel die Brust auf, so dass es blutend aus den Wolken herabfällt.
Meine Mutter härmt sich gar sehr ab, wenn Kinder auf solche Weise,
freilich durch ihre eigene Schuld, verunglücken. Gar zu gern wollte sie,
dass alle Kinder auf der ganzen Welt die Lust ihres Reiches genießen
möchten, aber wenn viele auch tüchtig fliegen können, so sind
sie nachher doch entweder zu keck oder zu furchtsam und verursachen ihr nur
Sorge und Angst. Eben deshalb erlaubt sie mir, dass ich hinausfliegen aus
meiner Heimat und tüchtigen Kindern allerlei schöne Spielsachen
daraus mitbringen darf, wie ich es denn auch mit euch gemacht habe."
"Ach," rief Christlieb, "ich könnte gewiss keinem
schönen Vogel Leides tun, aber auf dem Regenbogen rennen möchte ich
doch nicht." "Das wäre," - fiel ihr Felix ins Wort, -
"das wäre nun gerade meine Sache, und ebendeshalb möchte ich zu
deiner Mutter Königin. Kannst du nicht einmal den Regenbogen
bringen?" "Nein," erwiderte das fremde Kind, "das geht
nicht an, und ich muss dir überhaupt sagen, dass ich mich nur ganz
heimlich zu euch stehlen darf. Sonst war ich überall sicher, als sei ich
bei meiner Mutter, und es war überhaupt so, als sei überall ihr
schönes Reich ausgebreitet, seit der Zeit aber, dass ein arger Feind
meiner Mutter, den sie aus ihrem Reiche verbannt hat, wild umherschwärmt,
bin ich vor arger Nachstellung nicht geschützt." "Nun,"
rief Felix, indem er aufsprang und den Dornenstock, den er sich geschnitzt, in
der Luft schwenkte, "nun, den wollt' ich denn doch sehen, der dir hier
Leides zufügen sollte. Fürs erste hätt' er es mit mir zu tun,
und denn rief ich Papa zu Hilfe, der ließe den Kerl einfangen und in den
Turm sperren." "Ach," erwiderte das fremde Kind, "so wenig
der arge Feind in meiner Heimat mir etwas antun kann, so gefährlich ist er
mir außerhalb derselben, er ist gar mächtig, und wider ihn hilft
nicht Stock, nicht Turm." "Was ist denn das für ein garstig
Ding, das dich so bange machen kann?" fragte Christlieb. "Ich habe
euch gesagt," fing das fremde Kind an, "dass meine Mutter eine
mächtige Königin ist, und ihr wisst, dass Königinnen sowie
Könige einen Hofstaat und Minister um sich haben."
"Jawohl," sprach Felix, "der Onkel Graf ist selbst solch ein
Minister und trägt einen Stern auf der Brust. Deiner Mutter Minister
tragen auch wohl recht funkelnde Sterne?" "Nein," erwiderte das
fremde Kind, "nein, das eben nicht, denn die mehrsten sind selbst ganz und
gar funkelnde Sterne, und andere tragen gar keine Röcke, worauf sich so
etwas anbringen ließe. Dass ich's nur sage, alle Minister meiner Mutter
sind mächtige Geister, die teils in der Luft schweben, teils in
Feuerflammen, teils in den Gewässern wohnen und überall das
ausführen, was meine Mutter ihnen gebietet. Es fand sich vor langer Zeit
ein fremder Geist bei uns ein, der nannte sich Pepasilio und behauptete, er sei
ein großer Gelehrter, er wisse mehr und würde größere
Dinge bewirken als alle übrige. Meine Mutter nahm ihn in die Reihe ihrer
Minister auf, aber bald entwickelte sich immer mehr seine innere Tücke.
Außerdem dass er alles, was die übrigen Minister taten, zu
vernichten strebte, so hatte er es vorzüglich darauf abgesehen, die frohen
Feste der Kinder recht hämisch zu verderben.
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