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Das
hässliche junge Entlein
Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 1 ( von 6 )
Es war herrlich draußen auf dem Lande; es war Sommer, das Korn stand
gelb, der Hafer grün, das Heu war unten auf den grünen Wiesen in
Schobern aufgesetzt, und da ging der Storch auf seinen langen roten Beinen und
plapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von seiner Mutter
gelernt. Rings um den Acker und die Wiese waren große Wälder und
mitten in den Wäldern tiefe Seen, ja, es war wirklich herrlich da
draußen auf dem Lande! Mitten im Sonnenschein lag dort ein altes
Rittergut, von diesen Kanälen umgeben, und von der Mauer bis zum Wasser
herunter wuchsen große Kletterblätter, die so hoch waren, dass
kleine Kinder unter den höchsten aufrecht stehen konnten; es war aber so
wild; es war aber so wild darin wie im tiefsten Walde. Hier saß eine Ente
auf ihrem Neste, welche ihre Jungen ausbrüten musste, aber es wurde ihr
fast zu langweilig, ehe die Jungen kamen, dazu bekam sie selten Besuch; die
anderen Enten schwammen lieber in den Kanälen umher, als dass sie hinauf
liefen, sich unter ein Kleeblatt zu setzten und mit ihr zu schnattern.
Endlich borst ein Ei nach dem andern. "Piep, piep!" sagte es und alle
Eidotter waren lebendig geworden und steckten den Kopf heraus. "Rapp,
rapp!" sagten sie, und so rappelten sich alle, was sie konnten, und sahen
nach allen Seiten unter den grünen Blättern, und die Mutter
ließ sie sehen, soviel sie wollten, denn das Grüne ist gut für
die Augen.
"Wie groß ist doch die Welt!" sagten alle Jungen; denn nun
hatten sie freilich ganz anders Platz, als wie sie noch drinnen im Ei lagen.
"Glaubt ihr, dass dies die ganze Welt sei?" sagte die Mutter.
"Die erstreckt sich noch weit über die andere Seite des Gartens,
gerade hinein in des Pfarrers Feld, aber da bin ich noch nie gewesen! Ihr seid
doch alle beisammen?" fuhr sie fort, und so stand sie auf. "Nein ich
habe noch nicht alle, das größte Ei liegt noch da. Wie lange soll
das noch währen? Jetzt bin ich es bald überdrüssig!" Und so
setzte sie sich wieder.
"Nun wie geht es?" sagte eine alte Ente, welche gekommen war, um ihr
ein Besuch abzustatten.
"Es währt so lange mit dem Ei!" sagte die Ente, die da
saß; "es will nicht entzwei gehen, doch blicke nur auf die andern
hin, sind sie nicht die niedlichsten Entlein, die man je gesehen? Sie glichen
allesamt ihrem Vater; der Bösewicht kommt nicht, mich zu besuchen."
"Lass mich das Ei sehen, welches nicht bersten will!" sagte die Alte.
"Glaube mir, es ist ein Kalekutenei; ich bin auch einmal so angeführt
worden, und hatte meine große Sorge und Not mit den Jungen, denn ihnen
ist bange vor dem Wasser. Ich konnte sie nicht hinein bekommen, ich rappte und
schnappte, aber es half nichts. Lass mich das Ei sehen. Ja, das ist ein
Kalekutenei, lass du das liegen und lehre lieber die andern Kinder
schwimmen."
"Ich will doch noch ein bisschen darauf sitzen", sagte die Ente,
"habe ich nun so lange gesessen, so kann ich auch noch einige Zeit
sitzen."
"Nach Belieben", sagte die alte Ente und ging von dannen. Endlich
borst das große Ei. "Piep, piep!" sagte das Junge und kroch
heraus; es war groß und hässlich. Die Ente betrachtete es. "Das
ist doch ein gewaltig großes Entlein", sagte sie; "keins von
den andern sieht so aus; sollte es doch ein kalekutisches Küken sein? Nun,
wir wollen bald dahinter kommen; in das Wasser muss es, ob ich es auch selbst
hineinstoßen soll."
Am nächsten Tage war schönes, herrliches Wetter. Die Sonne schien auf
all die grünen Kletten. Die Entleinmutter ging mit ihrer ganzen Familie zu
dem Kanal hinunter, platsch! da sprang sie in das Wasser. "Rapp,
rapp!" sagte sie, und ein Entlein plumpste nach dem andern hinein; das
Wasser schlug ihnen über dem Kopf zusammen, aber sie kamen gleich wieder
empor und schwammen so prächtig, die Beine gingen von selbst, und alle
waren sie darin, selbst das hässliche, graue Junge schwamm mit.
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