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Das
fremde Kind
Kapitel 9: Von der Heimat des fremden Kindes, Seite 2 ( von 2 )
ETA Hoffmann
Unter dem segelt glänzendes Gewölk mit goldnen Schwingen hin und her,
und das purpurne Morgen- und Abendrot steigt auf und nieder, und in klingenden
Kreisen tanzen die funkelnden Sterne. - Ihr habt, meine liebe Gespielen, ja
wohl schon von Feen gehört, die, wie es sonst kein Mensch vermag, die
herrlichsten Wunder hervorrufen können, und ihr werdet es auch wohl schon
gemerkt haben, dass meine Mutter nichts anders ist, als eine Fee. Ja! das ist
sie wirklich, und zwar die mächtigste, die es gibt. Alles, was auf der
Erde webt und lebt, hält sie mit treuer Liebe umfangen, doch zu ihrem
innigen Schmerz wollen viele Menschen gar nichts von ihr wissen. Vor allen
liebt meine Mutter aber die Kinder, und daher kommt es, dass die Feste, die sie
in ihrem Reiche den Kindern bereitet, die schönsten und herrlichsten sind.
Da geschieht es denn wohl, dass schmucke Geister aus dem Hofstaate meiner
Mutter keck sich durch die Wolken schwingen und von einem Ende des Palastes bis
zum andern einen in den schönsten Farben schimmernden Regenbogen spannen.
Unter dem bauen sie den Thron meiner Mutter aus lauter Diamanten, die aber so
anzusehen sind und so herrlich duften wie Lilien, Nelken und Rosen. Sowie meine
Mutter den Thron besteigt, rühren die Geister ihre goldnen Harfen, ihre
kristallenen Zimbeln, und dazu singen die Kammersänger meiner Mutter mit
solch wunderbaren Stimmen, dass man vergehen möchte vor süßer
Lust. Diese Sänger sind aber schöne Vögel, größer
noch als Adler, mit ganz purpurnem Gefieder, wie ihr sie wohl noch nie gesehen
habt. Aber sowie die Musik losgegangen, wird alles im Palast, im Walde, im
Garten laut und lebendig. Viele tausend blank geputzte Kinder tummeln sich im
Jauchzen und Jubeln umher. Bald jagen sie sich durchs Gebüsch und werfen
sich neckend mit Blumen, bald klettern sie auf schlanke Bäumchen und
lassen sich vom Winde hin und her schaukeln, bald pflücken die
goldglänzende Früchte, die so süß und herrlich schmecken
wie sonst nichts auf der Erde, bald spielen sie mit zahmen Rehen - mit andern
schmucken Tieren, die ihnen aus dem Gebüsch entgegenspringen; bald rennen
sie keck den Regenbogen auf und nieder oder besteigen gar als kühne Reiter
die schönen Goldfasanen, die sich mit ihnen durch die glänzenden
Wolken schwingen." "Ach, das muss herrlich sein, ach, nimm uns mit in
deine Heimat, wir wollen immer dort bleiben!" - So riefen Felix und
Christlieb voll Entzücken, das fremde Kind sprach aber: "Mitnehmen
nach meiner Heimat kann ich euch in der Tat nicht, es ist zu weit, ihr
müsstet so gut und unermüdlich fliegen können wie ich
selbst." Felix und Christlieb wurden ganz traurig und blickten schweigend
zur Erde nieder.
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