|
Das
fremde Kind
Kapitel 15: Beschluss, Seite 2 ( von 2 )
ETA Hoffmann
Sie wollte zu einem Verwandten hin, der nicht fern wohnte, und schnürte
daher ein kleines Bündelchen mit der wenigen Wäsche und den geringen
Kleidungsstücken, die man ihr gelassen, Felix und Christlieb mussten ein
gleiches tun, und so zogen sie unter vielen Tränen fort aus dem Hause.
Schon hörten sie das ungestüme Rauschen des Waldstroms, über
dessen Brücke sie wollten, als die Frau von Brakel vor bitterm Schmerz
ohnmächtig zu Boden sank. Da fielen Felix und Christlieb auf die Knie
nieder und schluchzten und jammerten: "O wir arme unglückliche
Kinder! nimmt sich denn keiner, keiner unsers Elends an?" In dem
Augenblick war es, als werde das ferne Rauschen des Waldstroms zu lieblicher
Musik, das Gebüsch rührte sich in ahnungsvollem Säuseln - und
halb strahlte der ganze Wald in wunderbarem funkelnden Feuer. Das fremde Kind
trat aus dem süßduftenden Laube hervor, aber von solchem blendenden
Glanz umflossen, dass Felix und Christlieb die Augen schließen mussten.
Da fühlten sie sich sanft berührt, und des fremden Kindes holde
Stimme sprach: "O klagt nicht so, ihr meine lieben Gespielen! Lieb' ich
euch denn nicht mehr? Kann ich euch denn wohl verlassen? Nein! - seht ihr mich
auch nicht mit lieblichen Augen, so umschwebe ich euch doch beständig und
helfe euch mit meiner Macht, dass ihr froh und glücklich werden sollet
immerdar. Behaltet mich nur treu im Herzen, wie ihr es bis jetzt getan, dann
vermag der böse Pepser und kein anderer Widersacher etwas über euch!
- liebt mich nur stets recht treulich!" "Oh, das wollen wir, das
wollen wir!" riefen Felix und Christlieb, "wir lieben dich ja mit
ganzer Seele." Als sie die Augen wieder aufzuschlagen vermochten, war das
fremde Kind verschwunden, aber aller Schmerz war von ihnen gewichen, und sie
empfanden die Wonne des Himmels, die in ihrem Innersten aufgegangen. Die Frau
von Brakel richtete sich nun auch langsam empor und sprach: "Kinder! ich
habe euch im Traum gesehen, wie ihr wie in lauter funkelndem Golde standet, und
dieser Anblick hat mich auf wunderbare Weise erfreut und getröstet."
Das Entzücken strahlte in der Kinder Augen, glänzte auf ihren
hochroten Wangen. Sie erzählten, wie eben das fremde Kind bei ihnen
gewesen sei und sie getröstet habe; da sprach die Mutter: "Ich
weiß nicht, warum ich heute an euer Märchen glauben muss, und warum
dabei so aller Schmerz, alle Sorgen von mir weichen. Lasst uns nun getrost
weitergehen." Sie wurden von dem Verwandten freundlich aufgenommen, dann
kam es, wie das fremde Kind es verheißen. Alles, was Felix und Christlieb
unternahmen, geriet so überaus wohl, dass sie samt ihrer Mutter froh und
glücklich wurden, und noch in später Zeit spielten sie in
süßen Träumen mit dem fremden Kinde, das nicht aufhörte,
ihnen die lieblichsten Wunder seiner Heimat mitzubringen.
|
|