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Die Geschichte
von Kalif Storch
Märchen von Wilhelm Hauff, Seite 6 ( von 7 )
In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit vielen und ausgesuchten
Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf welchem acht
Männer saßen. In einem dieser Männer erkannten die Störche
jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte. Sein
Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Taten zu erzählen. Er
erzählte unter andern auch die Geschichte des Kalifen und seines Veziers.
"Was für ein Wort hast Du ihnen denn aufgegeben?" fragte ihn ein
anderer Zauberer. "Ein recht schweres lateinisches, es heißt
Mutabor."
Als die Störche an ihrer Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor
Freude beinahe außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen
so schnell dem Tor der Ruine zu, dass die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach
der Kalif gerührt zu der Eule: "Retterin meines Lebens und des Leben
meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was Du an uns getan, mich
zum Gemahl an." Dann aber wandte er sich nach Osten. Dreimal bückten
die Störche ihre Hälse der Sonne entgegen, die so eben hinter dem
Gebirge heraufstieg; Mutabor riefen sie und im Nu waren sie verwandelt, und in
der hohen Freude des neu geschenkten Lebens lagen Herr und Diener lachend und
weinend einander in den Armen. Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich
umsahen? Eine schöne Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen.
Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand. "Erkennt Ihr Eure Nachteule
nicht mehr?" sagte sie. Sie war es; der Kalif war von ihrer Schönheit
und Anmut so entzückt, dass er ausrief: Es sei sein größtes
Glück, dass er Storch geworden sei.
Die Drei zogen nun mit einander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in seinen
Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch seinen Geldbeutel.
Er kaufte daher im nächsten Dorfe, was zu ihrer Reise nötig war, und
so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort aber erregte die Ankunft des
Kalifen großes Erstaunen. Man hatte ihn für tot ausgegeben, und das
Volk war hoch erfreut, seinen geliebten Herrscher wieder zu haben.
Um so mehr aber entbrannte ihr Hass gegen den Betrüger Mizra. Sie zogen in
den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn gefangen. Den Alten
schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, das die Prinzessin als Eule
bewohnt hatte, und ließ ihn dort aufhängen. Dem Sohn aber, welcher
nichts von den Künsten des Vaters verstand, ließ der Kalif die Wahl,
ob er sterben oder schnupfen wolle. Als er das Letztere wählte, bot ihm
der Großvezier die Dose. Eine tüchtige Brise, und das Zauberwort des
Kalifen verwandelte ihn in einen Storchen. Der Kalif ließ ihn in einen
eisernen Käfig sperren und in seinem Garten aufstellen.
Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin;
seine vergnügtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Großvezier
Nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem Storchenabenteuer, und
wenn der Kalif recht heiter war, ließ er sich herab, den Großvezier
nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg dann ernsthaft, mit steifen
Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte, wedelte mit den Armen, wie
mit Flügeln, und zeigte, wie Jener sich vergeblich nach Osten geneigt und
Mu - Mu - dazu gerufen habe. Für die Frau Kalifin und ihre Kinder war
diese Vorstellung allemal eine große Freude; wenn der Kalif gar zu lange
klapperte und nickte und Mu - Mu - schrie, dann drohte ihm der Verzier:
"Er wollte das, was vor der Türe der Prinzessin Nachteule verhandelt
worden sei, der Frau Kalifin mitteilen."
Als Selim Baruch seine Geschichte geendet hatte, bezeugten sich die Kaufleute
sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns vergangen, ohne
dass wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er die Decke des
Zeltes zurückschlug. "Der Abendwind wehet kühl, wir können
noch eine gute Strecke Weges zurücklegen."
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