|
|
Die Geschichte
von Kalif Storch
Märchen von Wilhelm Hauff, Seite 3 ( von 7 )
Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen. Er putzte sich mit dem
Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf den
ersten Storchen zu. Die beiden neuen Störche beeilten sich, in ihre
Nähe zu kommen, und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes Gespräch:
"Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese!"
"Schönen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir ein kleines
Frühstück geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechse
gefällig, oder ein Froschschenklein?"
"Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch wegen
etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den Gästen meines
Vaters tanzen, und da will ich mich im Stillen ein wenig üben."
Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch das
Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach. Als sie aber in
malerischer Stellung auf einem Fuß stand und mit den Flügeln anmutig
dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten; ein unaufhaltsames
Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor, von dem sie sich erst
nach langer Zeit erholten. Der Kalif fasste sich zuerst wieder: "Das war
einmal ein Spaß," rief er, "der nicht mit Gold zu bezahlen ist.
Schade! Dass die dummen Tiere durch unser Gelächter sich haben
verscheuchen lassen, sonst hätten sie gewiss auch noch gesungen!"
Aber jetzt viel es dem Großvezier ein, dass das Lachen während der
Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deshalb dem Kalifen mit.
"Potz Mecca und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich
ein Storch bleiben müsste! Besinne Dich doch auf das dumme Wort, ich bring
es nicht heraus."
"Dreimal gen Osten müssen wir und bücken, und dazu sprechen: Mu
- Mu - Mu -"
Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem fort, dass ihre
Schnäbel beinahe die Erde berührten. Aber, o Jammer! Das Zauberwort
war ihnen entfallen und so oft sich auch der Kalife bückte, so sehnlich
auch sein Verzier Mu - Mu dazu rief, jede Erinnerung daran war verschwunden und
der arme Chasid und sein Verzier waren und blieben Störche.
Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wussten gar nicht, was
sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut konnten sie nicht
heraus, in die Stadt konnten sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben, denn
wer hätte einem Storche geglaubt, dass er der Kalif sei, und wenn man es
auch geglaubt hätte, würden die Einwohner von Bagdad einen Storchen
zum Kalifen gewollt haben?
So schlichen sie mehrere Tage umher, und ernährten sich kümmerlich
von Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut
verspeisen konnten. Zu Eidechsen und Fröschen hatten sie übrigens
keinen Appetit. Denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich den
Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen Lage war,
dass sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die Dächer von Bagdad,
um zu sehen, was darin vorging.
In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den
Straßen. Aber ungefähr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung
saßen sie auf dem Palast des Kalifen. Da sahen sie unten auf der
Straße einen prächtigen Aufzug. Trommeln und Pfeifen ertönten,
ein Mann mir einem goldbestickten Scharlachmantel saß auf einem
geschmückten Pferd, umgeben von glänzenden Dienern. Halb Bagdad
sprang ihm nach, und alle schrieen: "Heil Mizra! Dem Herrscher von
Bagdad!" Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes
einander an, und der Kalif Chasid sprach: "Ahnst Du jetzt, warum ich
verzaubert bin, Großbvezier? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes,
des mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache
schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Komm mit mir, Du treuer
Gefährte meines Elends, wir wollen zum Grab des Propheten wandern,
vielleicht dass an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird."
|
|
|