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Däumelinchen

Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 4 ( von 7 )

Der Maulwurf nahm nun ein Stück faules Holz ins Maul, denn das schimmerte ja wie Feuer im Dunkeln, ging dann voran und leuchtete ihnen in dem langen, dunklen Gange. Als sie dahin kamen, wo der tote Vogel lag, stemmte der Maulwurf seine breite Nase gegen die Decke und stieß die Erde auf, sodass ein großes Loch wurde, durch welches das Licht hinunter scheinen konnte. Mitten auf dem Fußboden lag eine tote Schwalbe, die schönen Flügel fest an die Seite gedrückt, die Füße und den Kopf schön unter die Federn gezogen; der arme Vogel war sicher vor Kälte gestorben. Das tat Däumelinchen leid, sie hielt viel von allen kleinen Vögeln, sie hatten ja den ganzen Sommer so schön vor ihr gesungen und gezwitschert; aber der Maulwurf stieß ihn mit seinen kurzen Beinen und sagte: "Nun pfeift er nicht mehr! Es muss doch erbärmlich sein, als kleiner Vogel geboren zu werden! Gott sei Dank, dass keins von meinen Kindern das wird; ein solcher Vogel hat ja außer seinem Quivit ja nichts, und muss im Winter verhungern!"
"Ja, das mögt ihr als vernünftiger Mann wohl sagen", erwiderte die Feldmaus. "Was hat der Vogel für all sein Quivit, wenn der Winter kommt? Er muss hungern und frieren; doch das soll wohl vornehm sein!"
Däumelinchen sagte gar nichts; aber als die beiden Andern dem Vogel den Rücken wandten, neigte sie sich herab, schob die Federn beiseite, welche den Kopf bedeckten, und küsste ihn auf die geschlossenen Augen.
"Vielleicht war er es, welcher so hübsch vor mir im Sommer sang", dachte sie. "Wie viel Freude hat er mir gemacht, der liebe schöne Vogel!"
Der Maulwurf stopfte nun das Loch zu, durch welches der Tag hineinschien, und begleitete denn die Damen nach Hause. Aber Nachts konnte Däumelinchen gar nicht schlafen; da stand sie von ihrem Bette auf und flocht von Heu einen schönen Teppich, den trug sie zu dem Vogel, breitete ihn über denselben und legte weiche Baumwolle, welche sie in der Stube der Feldmaus gefunden hatte, an die Seiten des Vogels, damit er in der kalten Erde warm liegen möge. "Lebe wohl, du schöner kleiner Vogel!" sagte sie. "Lebe wohl und habe Dank für deinen herrlichen Gesang im Sommer, als alle Bäume grün waren und die Sonne war auf uns herabschien!" Dann legte sie ihr Haupt an des Vogels Brust, erschrak aber zugleich, denn es war gerade, als ob drinnen etwas klopfte. Das war des Vogels Herz. Der Vogel war nicht tot, er lag nur betäubt da und war nun erwärmt worden und bekam wieder Leben.
Im Herbst fliegen alle Schwalben nach den warmen Ländern fort; aber ist da eine, die sich verspätet, da friert sie so, dass sie wie tot niederfällt, liegen bleibt, wo sie hinfällt, und der kalte Schnee sie bedeckt.
Däumelinchen zitterte heftig, so war sie erschrocken, denn der Vogel war ja groß, sehr groß gegen sie, die nur einen Zoll lang war; aber sie fasste doch Mut, legte die Baumwolle dichter um die arme Schwalbe, und holte ein Krauseminzblatt, welches sie selbst zum Deckblatt gehabt hatte, und legte es über den Kopf des Vogels. In der nächsten Nacht schlich sie sich wieder zu ihm, und da war er nun lebendig, aber ganz matt, er konnte nur einen Augenblick seine Augen öffnen und Däumelinchen ansehen, die mit einem Stück faulen Holzes in der Hand, denn eine andere Laterne hatte sie nicht, vor ihm stand.
"Ich danke dir, du niedliches kleines Kind!" sagte die kranke Schwalbe zu ihr. "Ich bin herrlich erwärmt worden; bald erhalte ich meine Kräfte zurück und kann dann wieder draußen in dem warmen Sonnenschein herumfliegen!"
"O", sagte Däumelinchen, "es ist kalt draußen, es schneit und friert! Bleib in deinem warmen Bette, ich werde dich schon pflegen!" Dann brachte sie der Schwalbe Wasser in einem Blumenblatt, und diese trank und erzählte ihr, wie sie ihren einen Flügel an einem Dornbusch gerissen und deshalb nicht so schnell fliegen können, als die andern Schwalben, welche fortgeflogen seien, weit fort nach den warmen Ländern. So sei sie zuletzt zur Erde gefallen . Mehr wusste sie nicht und auch nicht, wie sie hierher gekommen war.

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