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Der Drache
Neapolitanisches Märchen, Seite 1 ( von 6 )
Es war einmal ein König von Alta-Marina, welcher solche Tyrannei und
Grausamkeit verübte, dass eines Tages, als er von seiner Gemahlin
fortgegangen war, um ein Schloss in einiger Entfernung von der Stadt zu
besuchen, sich ein gewisses Weib, das eine Hexe war, des königlichen
Sitzes bemächtigte. - Als er deswegen eine hölzerne Bildsäule,
welche Antworten zu erteilen pflegte, um Rat gefragt hatte, bekam er den
Bescheid, dass er sein Besitztum nicht wieder erlange, als bis die Hexe blind
würde. Da er nun sah, dass die Hexe, die außerdem wohl bewacht war,
auf den ersten blick die Leute erkannte, die er ausschickte, um ihr
nachzustellen, und Hundegerechtigkeit an ihnen ausübte, so viel er in
Verzweiflung und beraubte aus Trotz jedes Weib, das ihm in die Hände fiel,
seines Lebens.
Nachdem Hundert und aber Hundert das Unglück gehabt hatten, das Leben auf
diese Weise einzubüßen, trug es sich zu, dass eine Jungfrau, Namens
Portiella, das schönste Geschöpf auf der ganzen Erde, dahin kam. Ihre
Haare waren Fesseln der Liebesschergen; ihre Stirn eine Tafel, auf welcher das
Schild des Ladens der Liebesreize geschrieben war; ihre Augen zwei
Leuchttürme, welche die Schiffe der Wünsche in den Sand setzten, das
Steuer nach dem Hafen der Glückseligkeit zu richten; ihr Mund ein
Honiggrübchen zwischen zwei Rosenhecken.
Als nun diese Portiella in die Hände des Königs fiel, und ihr Urteil
an ihr vollzogen war, wollte er sie wie die übrigen töten. In dem
Augenblicke aber, als er den Dolch erhob, ließ ein Vogel eine unbekannte
Wurzel auf seinen Arm fallen, und er bekam ein solches Zittern, dass der Stahl
seiner Hand entsank.
Dieser Vogel war eine Fee, die sich einige Tage zuvor in einem Walde zum
Schlafen hingelegt hatte, wo sie im Schatten der Hitze Trotz bot, wiewohl es
nicht ohne Gefahr war; als nun ein gewisser Satyr sie überfallen wollte,
hatte Portiella sie geweckt, und aus Dankbarkeit folgte sie dieser nun
beständig, um die Wohltat zu erwiedern.
Als nun der König seinen Vorfall bemerkte, glaubte er, dass die
Schönheit ihres Gesichtes so viel Einfluss auf seinen Arm gehabt habe, und
der Dolch sie daher nicht wie so viele andere traf. Deshalb wollte er es nicht
noch einmal versuchen, sondern beschloss, sie in einem Kerker seines Palastes
einzumauern; dies führte er auch sehr schnell aus, indem er das
unglückliche Geschöpf zwischen vier Mauern einsperrte, ohne ihr
Speise und Trank zu lassen, damit sie sich nach und nach aufzehren und so
allmählich sterben möchte.
Der Vogel, sie in diesem traurigen Zustande sehend, tröstete sie mit
holden Worten und empfahl ihr heiter zu sein; denn er würde ihr, für
den großen Dienst, den sie ihm erzeigt, helfen, und solle es ihm das
Leben kosten. Trotz Allem, was Portiella sagte, behauptete er immer, ihr
größere Verpflichtung schuldig zu sein, und fügte hinzu, dass
er nichts unterlassen würde, um ihr zu dienen. - Da er nun bemerkt, dass
sie fast vor Hunger umkam, so flog er eilig fort, kam mit einem spitzigen
Messer wieder, dass er aus des Königs Kabinett genommen hatte, und befahl
ihr, mit demselben ein Loch in dem Winkel des Bodens, der über der
Küche war, zu machen; durch diese wollte er ihr beständig Nahrung
bringen. Partiella bohrte, bis es groß genug war, um den Vogel
durchzulassen; dieser wartete, bis der Koch hinausgegangen war, um Wasser zu
holen, nahm ein zubereitetes Huhn und brachte es Portiella, um ihren Durst zu
stillen, nicht wissend, wie er ihr etwas zu trinken bringen sollte, flog er
nach der Speisekammer, wo viele Weintrauben hingen und trug ihr eine
schöne Traube zu, dies tat er viele Tage hintereinander.
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