|
Der Drache
Neapolitanisches Märchen, Seite 5 ( von 6 )
Drum komme, es wird besser gehen, als du denkst. - Genug, ich weiß, was
ich vermag, wir haben mehr Zeit, als Geld, und wer Zeit hat, hat Leben.
Als Miuccio das hörte, sprang er auf, versah sich mit einem guten Messer,
nahm das Kraut und ging in des Drachen Höhle, die unter einem Berge von
solcher Größe war, dass die drei Berge, welche Stufen für die
Riesen abgaben, ihm nicht an den Leib reichten. Als er hinkam, warf er das
Kraut in die Höhle, augenblicklich bemächtigte sich der Schlaf des
Drachen, und Miuccio begann, ihn zurecht zuschneiden.
Während er nun so an der Bestie herumschnitt, fühlte die
Königin, dass ihr Herz durchschnitten sei, und da sie einsah, wohin sie
sich gebracht, bemerkte sie ihren Irrtum, sich den Tod so wohl feil gekauft zu
haben. Sie rief ihren Gatten, erzählte ihm, was die Astrologen
verkündet hatten, wie ihr Leben von dem Drachen abhinge, und sie
befürchtete, Muiccio habe ihn bereits getötet, da sie sich immer
schwächer werden fühle. Der König erwiderte: "Wenn du
wusstest, dass das Leben des Drachen der Halt deines Lebens und die Wurzel
deiner Tage war, warum ließest du mich dem Miuccio diesen Befehl
erteilen? Wessen Schuld ist es? Du hast Böse selbst getan und musst es
beweinen; Du hast das Glas selbst zerbrochen und musst es bezahlen."
Die Königin antwortete: "Ich habe nie geglaubt, das ein simpler
Bursche die Kraft und Gewandtheit hätte, ein Tier zu Boden zu werfen, das
sich nichts aus einer Armee machte, und meinte, er würde seine Lungen da
lassen; da ich aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht habe, und die Barke
meiner Projekte aus ihrer Fahrt gekommen ist, so erzeige mir eine Freude, wenn
du mich liebst. - Wenn ich tot bin, so nimm einen in das Blut des Drachen
getauchten Schwamm und salbe alle Extremitäten meines Körpers damit,
bevor du mich begräbst." - "Das ist eine Kleinigkeit gegen die
Liebe, die ich zu dir hege, sagte der König, und reicht das Blut des
Drachen nicht hin, so will ich mein eigenes nehmen, um dich zufrieden zu
stellen."
Die Königin wollte ihm danken, aber der Atem ging ihr aus, denn gerade zu
derselben Zeit hatte Miuccio dem Drachen den Garaus gemacht.
Er war kaum zu dem König gekommen mit der Nachricht, als dieser ihm
befahl, zurückzugehen, um blut von dem Drachen zu holen; da er aber
neugierig war, die von Miouccio's Hand vollbrachte Tat zu sehen, so folgte er
ihm nach. Kaum war Miuccio aus dem Palast, als sich auch schon der Vogel zu ihm
gesellte und fragte: "Wo gehst du hin?" Miuccio antwortete: "Ich
gehe, wohin der König mich sendet; denn er lässt mich vorwärts
und rückwärts gehen, wie ein Weberschiff, und gestattet mir keine
Ruhe." - "Was sollst du tun?" fragte der Vogel. "Blut vom
Drachen holen," erwiderte Muiccio. Darauf sagte der Vogel:
"Unglücklicher Jüngling; diese Drachenblut wird böses Blut
für dich sein, denn es wird deinen Untergang bereiten; durch diese Blut
wird der böse Ursprung aller deiner Mühen, der dich beständig
neuen Gefahren preisgibt, damit du dein Leben dabei einbüßest, neu
belebt werden, und der König, der sich von einer edlen Schlange bei der
Nase herumführen lässt, befiehlt dir, wie einem Verworfenen, dein
Leben, das aus seinem eigenen königlichen Blute entspringt, das ein reiner
Sprössling jener Pflanze ist, auf's Spiel zu setzen. - Der
unglückliche Mann kennt dich aber nicht, wiewohl die große Neigung,
die er zu dir hegt, ein Zeichen der Verwandtschaft ist. - Obendrein sollten die
Dienste, die du ihm geleistet hast, und der Vorteil, einen solchen
vortrefflichen Erben an dir zu haben, machen, dass die unglückliche
Portiella, deine Mutter, die schon vierzehn Jahre lang lebendig in dem Kerker
begraben ist, wo sie in ihrer Jugendschönheit eingemauert wurde, Gnade vor
ihm finde."
|
|