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Wassili
Boguslajewitsch
Russisches Märchen, Seite 1 ( von 6 )
Boguslai, Fürst von Nowgorod, wurde achtzig Jahre alt, und regierte
sechzig Jahre ruhig und glücklich. Sein einziger Sohn Wassilie war bei
seinem Tode zwanzig Jahre alt. Von der väterlichen strengen Zucht befreit,
unter Aufsicht einer zärtlichen, ihn halb vergötternden Mutter,
ließ er seiner starken feurigen Natur den Zügel, und richtete
mancherlei Unheil an.. Er war fast den ganzen Tag auf der Straße und
kurzweilte mit Jünglingen und Männern; aber wer sich mit ihm
einließ, der kam gewöhnlich schlimm dabei weg, denn wessen Hand er
fasste, der war um seine Hand, und wessen Kopf er antastete, der war um seinen
Kopf.
Über dergleichen tolle Kurzweil des jungen Fürstlein fingen die
Nowgoroder an zu murren, und die Posadniks versammelten sich auf dem Rathause,
um Rat zu pflegen. Nach gefasstem Beschluss traten sie vor die Mutter Wassilis
und redeten sie also an: "Du bist eine brave Frau, Amelpha Timophejewna,
und so halte doch dein liebes Söhnlein Wassili Boguslawitsch besser in
Zucht, dass er nicht auf die Straße geht und nach seiner Art kurzweilt;
denn schon ist unsere große Stadt durch seine Kurzweil an Menschen
ärmer geworden." -
Über diese Rede ward die brave Matrone sehr bekümmert und versprach
den Posadniks, ihren Waska in Zukunft besser in Zucht zu halten. Darauf tat sie
ihnen eine Ehre an und ließ sie höflich von sich. Nun berief sie
ihren lieben Waska vor sich und ermahnte ihn mit folgenden Worten: "Ach,
mein teures Kind, gehe doch nicht mehr auf die Straße, um mit den
Männern und Jünglingen von Nowgorod zu kurzweilen. Du hast
Ritterstärke aber du weißt sie nicht zu gebrauchen; denn wen du bei
der Hand fassest, der ist um seine Hand, und wen du am Kopfe nimmst, der ist um
seinen Kopf. Darüber murrt das Volk, und die Posadniks sind bei mir
gewesen, um sich zu beklagen. Bedenke, wenn sie gegen uns aufständen, was
könnten wir machen? Du bist eine vaterlose Weise und ich eine arme Witwe;
und so groß deine Stärke auch ist, vermagst du wohl gegen Tausende
zu stehen? Sind nicht die Männer von Nowgorod ohne Zahl? Höre mein
gutes Wort, liebes Kind, und folge deiner Mutter." - Wassili
Boguslajewitsch hörte die Ermahnungen seiner Mutter still und
ehrfurchtsvoll an, und nachdem sie ausgeredet hatte, neigte er sich vor ihr bis
zur Erde und antwortete ihr mit bescheidener Miene Folgendes: "Liebe
Mutter, ich fürchte nicht die Posadniks und die Männer von Nowgorod;
wohl aber fürcht' ich deine mütterliche Ermahnung und dein gutes
Wort. Ich verspreche dir, nicht mehr auf die Straße zu gehen, um Kurzweil
zu treiben. Aber wie soll ich mich sonst belustigen? Wie soll ich die
Stärke meiner Arme versuchen? Du hast mich nicht geboren, um hinter dem
Ofen zu sitzen, und nicht umsonst hat mir das Schicksal Ritterstärke
verliehen. O, wenn meine Zeit kommt, will ich die Posadniks schon
demütigen, und das ganze Land der Russen soll sich vor mir beugen. Aber
jetzt steh' ich noch unter deiner Zucht, und so erlaube mir, Kameraden zu
wählen, mit denen ich scherzen und kurzweil und die Kraft meiner Arme
versuchen kann. Gib mir Bier und Met, damit ich die Mutigen und Starken laden
kann, und so Kameraden finde, die nach meiner Hand sind." - Diese Bitte
wurde ihm gewährt, und Amelpha Timophejewna ließ vor die Tore des
Schlosses Fässer mit Met und Bier stellen, und schwere goldne
Trinkgeschirre daran hängen, und sandte Herolde aus, die durch die
Straßen von Nowgorod gingen und ausriefen: "Wer herrlich und in
Freuden leben will, und Lust hat, bunte Kleider zu tragen, der komme auf das
Schloss zu Wassili Boguslajewitsch; aber er berate sich zuvor mit seiner
Stärke und prüfe die Festigkeit seiner Knochen, denn Wassili
Boguslajewitsch liebt nur die Mutigen und Starken." -
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