|
Tschurilo
Plenkowitzsch
Russisches Märchen, Seite 1 ( von 5 )
Nach Dobrünä Nikititsch war kein Ritter am Hofe des
Großfürsten Wladimir so edel und brav, so keck und tapfer, als
Tschurilo Plenkowitzsch. Besonders zeichnete er sich durch eine
ungewöhnliche Leibesstärke aus. Niemand konnte sich im Ringen mit ihm
messen, als der unüberwindliche Zögling Dobradens, der ihn hierhin,
so wie in allen andern Rittertugenden übertraf. Diese beiden tapferen
Helden waren die besten Freunde, und Dobrünä, der um mehrere Jahre
älter war, Als Tschurilo, unterrichtete diesen im Gebrauche der Waffen und
in den Gesetzen der Wissenschaft. Als Tschurilo sein zwanzigstes Jahr
zurückgelegt hatte, und gerade Friede im Lande war, riet ihm
Dobrünä, auf ritterliche Abenteuer auszuziehen, und in fremden
Länder Ruhm und Ehre zu suchen. "Du bist jung," sprach der edle
Ritter zu seinem Freunde, und Reisen bildet die Jugend. Ziehe aus, und erwirb
dir durch edle und tapfere Taten, durch Beschützung der Unschuld und durch
Bestrafung des Frevels in fernen Landen Ruhm und Ehre, damit dein Name und der
Name deines Vaterlandes auch von Fremden geehrt werde." - Dieser Vorschlag
gefiel dem wackeren Jüngling, und des andern Tages, nachdem er Urlaub von
dem Großfürsten und den zärtlichsten Abschied von seinen
Freunden genommen hatte, verließ er Kiew. Er nahm seinen Weg nach Westen.
Die Wälder von Litthauen durchzog er, ohne das geringste Abenteuer, und
schon war ein beträchtliches Stück von Preußen durchwandert,
ohne das er Gelegenheit gefunden hätte, sein Schwert zur Beschützung
der Unschuld und zur Bestrafung des Frevels zu ziehen, als eines Tages, da er
an dem schattigen Ufer des Pregels ausruhte und sein gutes Ross im hohen Grase
weiden ließ, eine klagende, weibliche Stimme seine Aufmerksamkeit auf
sich zog. Er wendete seine blicke nach der Gegend, woher die Stimme kam, und
sah ein Mädchen von hohem, schlanken Wuchse, das vor einem großen
Feuer stand und sich die Augen trocknete. Er stand auf und trat näher. Da
hörte er deutlich folgende Worte: "Heiliges Feuer, wirst du es
dulden, dass mein Vater von dem starken Jüngling gezwungen wird, mich in
die Arme des verhassten Druiden zu liefern? - Wirst du es dulden, dass deine
Priesterin ein Opfer der Gewalt wird?" - Ein Tränenstrom unterbrach
ihre Klagen.
Der brave Tschurilo fühlte Mitleiden mit dem Mädchen, und freute sich
sogleich eine Gelegenheit gefunden zu haben, die verfolgte Unschuld zu
verteidigen. Er ging an das Feuer und bat das weinende Mädchen mit
freundlichen Worten um eine nähere Erklärung ihrer Klage und
versicherte ihr dabei, dass er nicht zugeben werde, dass ihr Gewalt geschehe.
Das Mädchen erschrak anfangs über die freundlichen Worte und die
hoffnungsvolle Versicherung des Ritters machten ihr wieder Mut, und sie hob
also an: Wer du auch seiest, edler Ritter, mein unglückliches Schicksal
wird dich rühren. Höre meine Geschichte. Ich bin die Tochter des
Oberpriesters Weidemuth. Mein Name ist Prelepa, und seit sieben Jahren bin ich
dem Dienste des Gottes Ischambrat geweiht, den du meine Landsleute unter dem
Bilde des ewigen Feuers verehren. Alle Morgen ruft mich meine Pflicht unter
diese Eiche, und die heilige Flamme zu nähren und eine Hand voll Bernstein
zu opfern, den das Meer an unsere Küsten wirft. Auch muss ich als
Priesterin eine immerwährende Keuschheit bewahren, und nur mein Vater der
Oberpriester kann dies Gelübde lösen.
Eines morgens, als ich, meine Pflicht gemäß, das heilige Feuer
unterhielt, sah mich der Druide Kriwida, der nicht weit von hier in einer
unterirdischen Höhle wohnt, wo er sich mit geheimen Arbeiten
beschäftigt, durch welche es ihm unter anderem gelungen ist, ein Wasser zu
erfinden, das Demjenigen, der es trinkt, eine übernatürliche
Stärke verleiht.
|
|