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Die Flasche
Irisches Märchen, Seite 5 ( von 6 )
Eines Tages kam er zu Michael und fragte ihn, wie er zu all dem Geld gekommen
wäre, das er doch in keinem Fall durch die Pacht gewonnen hätte; er
quälte ihn so lange, bis Michael ihm endlich von der Flasche sagte. Der
Gutsherr bot viel Geld, doch dafür wollte sie Michael nicht hergeben, bis
er zuletzt Alles, was er jetzt in Pacht hatte, als Eigentum anbot. Da dachte
Michael, der reich genug war, nun bedürfe er des Geldes weiter nicht mehr
und gab die Flasche hin.
Michael hatte sich verrechnet; er und die Seinigen verschleuderten das Geld,
als wenn es kein Ende nehmen könnte und um die Geschichte kurz zu machen,
sie wurden immer ärmer und ärmer, bis sie am Ende nichts mehr
übrig hatten, als eine Kuh, welche Michael abermals wieder vor sich
hertrieb, um sie auf dem Markte zu Cork zu verkaufen, nicht ohne Hoffnung, dem
kleinen Mann von neuem zu begegnen und eine andere Flasche zu erhalten. Der Tag
brach eben an, als er sich von Haus aufmachte, und er ging einen guten Schritt,
bis er zu der Höhe kam. Die Nebel schliefen noch in den Tälern und
träufelten sich in duftigen Kränzen auf den braunen Heiden rings um
ihn her. Die Sonne erhob sich zu seiner Linken und vor seinen Füßen
sprang eine Lerche aus ihrem Lager im Gras und stieg, ihren fröhlichen
Morgengesang anstimmend, in den blauen Himmel hinauf.
Michael bekreuzigte sich, horchte auf den süßen Gesang der Lerche
und musste beständig an ds alte, kleine Männchen denken. Da wurde er,
gerade als er den Gipfel des Berges erreichte und sein Augen auf die weite
Aussicht vor und hinter sich warf, von der wohlbekannten Stimme sowohl
erschreckt, als erfreut, die ihm zurief: "Nicht wahr, Michael Purcell, ich
sagte Dir, Du würdest ein reicher Mann werden?"
"Gewiss, es war keine Lüge Herr! Ich wünsche euch einen guten
Morgen, aber dass ich zur Zeit ein reicher Mann bin, kann ich nicht sagen. Habt
ihr eine andere Flasche? Ich bedarf ihrer so gut, wie vordem. Habt Ihr sie,
Herr, hier ist die Kuh dafür."
"Und hier ist die Flasche," sagte der Kleine und lächelte,
"Du weißt, was Du damit zu tun hast." "Ach ja,"
antwortete er, "ich will es schon recht machen."
"Guten Tag, Herr," rief Michael, als er sich auf den Heimweg begab,
"gutes Glück Euch und gutes Glück dem hohen Berg, dem
Flaschenberg, damit er einen Namen bekommt; guten Tag, Herr, guten Tag!"
Damit eilte er so schnell er konnte, zurück, ohne sich nur einmal nach dem
Kleinen mit dem weißen Gesicht und der Kuh umzuschauen, nur besorgt,
seine Flasche heimzubringen. Wohlbehalten langte er damit an, und sobald er
Marie erblickte, rief er aus: "Ja, ich habe eine andere Flasche!"
"Tausend!" rief die Frau, "hast Du sie? du bist ein
Glückskind, Michael Purcell, ja das bist Du!"
Sie brachte Alles sogleich in Ordnung und Michael seine Flasche betrachtend,
schrie in seiner Freude: "Flasche, tue Deine Schuldigkeit!" In einem
Augenblick sprangen zwei große, gewaltige Männer aus der Flasche mit
dicken Knütteln in den Händen, die den armen Michael, seine Frau und
seine ganze Familie unbarmherzig bläuten, bis Alles auf dem boden lag,
worauf sie in die Flasche zurückeilten. Michael, sobald er wieder zu
Besinnung kam, stand auf und sah sich um. Er sann und sann. Endlich hob er Frau
und Kinder in die Höhe, und sprach: "Macht, dass Ihr Euch wieder
erhebt, so gut es geht," nahm die Flasche unter den Mantel und begab sich
zu seinem Gutsherrn.
Dort war große Gesellschaft und Michael bat einen Bedienten, dem Herrn zu
sagen, dass er ein paar Worte mit ihm zu sprechen wünsche. Endlich kam der
Herr heraus und fragte: "Was bringst Ihr mir Neues, Michael?"
"Nichts, Herr, als dass ich eine andere Flasche habe." "Ei, ei!
ist sie auch so gut wie die erste?"
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