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Der Fall
Amurath's oder das Schicksal der Tyrannei
Arabisches Märchen, Seite 5 ( von 5 )
Aber erinnere Dich, Selim, unter allen Versuchungen der Macht, dass Tugend und
Klugheit Dich auf den Thron erhoben haben. Lass niemals das Herz
Größe verblenden oder Überfluss betören, welches unter
allen Prüfungen des Mangels sich unbefleckt erhalten hat. Immer möge
das unglückliche Beispiel Amurath's sich Deinen Augen mit Abscheu
darstellen und sein nahes Ende Dir eine warnende Lehre sein. So wird Selim
einsehen, dass um Wohltaten und Gerechtigkeit zu verbreiten, der Zepter seinen
Händen anvertraut ist, und sein dankbares Volk seine glückliche
Regierung segnen."
Der Genius verschwand, wie er so gesprochen hatte, und der bestürzte Selim
warf sich nieder auf die Erde, indem er in Dank gegen den gütigen Alla
ausströmte und um mächtigen Beistand gegen die Versuchung bat, womit
Schmeichelei und der Stolz einer unumschränkten Macht die Throne der
Fürsten zu umlagern pflegten.
Die Nachricht von Selim's Entweichung verbreitete sich bald durch das ganze
missvergnügte Reich und das unterdrückte Volk, das ihn als einen
Engel der Erlösung betrachtete, strömte haufenweise zu seiner Fahne
hin, selbst die Janitscharen, welche seine liebenswürdige Arba in
Verwahrung genommen hatten, stießen, weil sie wohl wussten, dass, wenn
sie zu dem Tyrannen zurückkehrten, der Tod ihr unvermeidliches Los sein
würde, da sie den Sohn Almoran's hätten entwischen lassen, zu der
übrigen Menge, sobald sie den Ort seines Aufenthaltes erfahren hatten und
riefen, sich ihm zu Füßen werfend, ihn als ihren Sultan aus, indem
sie ihm zu gleicher Zeit das, was er mehr als Krone und Zepter schätzte,
die Auserwählte seines Herzens mit ungeschwächten Reizen darstellten.
Der zitternde Tyrann hörte die Nachricht von dieser Empörung mit dem
äußersten Schrecken, schloss sich in seinem Serail ein und
überließ sich der Verzweiflung. Hier blieb er, einem Unsinnigen
gleich, ganz unentschlossen, bis er von Selim und seiner Armee umzingelt war.
Die Türen wurden alsbald von den Domestiken aufgesprengt, die froh waren
einen neuen Sultan huldigen und ein Ungeheuer verraten zu können, dem sie
bis dahin mit Schrecken und Abscheu gehorcht hatten, und Selim, der sein
Schwert in des Verworfenen Brust stieß, rief laut: das ist das Schicksal
des Despotismus und der Grausamkeit und so muss der Argwohn blutdürstiger
Tyrannen durch die grausamen Mittel realisiert werden, die sie anwenden, um die
Erfüllung desselben zu verhindern. Möge es nur immer unser Stolz sein
nach den Neigungen unseres Volkes zu herrschen, um unsern Thron durch
Menschlichkeit und Gerechtigkeit fest zu gründen und ihn unsern Nachkommen
dadurch zu sichern, dass wir jedem jugendlichen Herzen die Lehren der Weisheit,
des Wohlwollens und der Frömmigkeit einprägen.
Hierauf gab er Befehle, dass kein anderes Opfer, von welchem Rang es sei,
weiter aufgeopfert werden sollte, damit die strenge Gerechtigkeit seiner
künftigen Regierung dadurch, dass sie aus einem ausgedehnten Felde von
Milde entspräche, mit keinen Vorwürfen von Strenge oder
persönlicher Rache besteckt und mit Ehrfurcht und Schrecken von seinen
Untertanen betrachtet würde.
Als der Aufruhr sich gelegt hatte, führte er die blühende Arba auf
seinen Thron und setzte, nachdem er die Türen des Serails hatte weit
öffnen lassen, die reizende Cirkassiern zu seiner Rechten, die eine
große Reihe von Jahren hindurch ohne eine Nebenbuhlerin die
zärtlichste Zuneigung ihres Gemahls besaß und das Glück eines
mächtigen und tugendhaften Regenten teilte, während dessen
Herrscherperiode zwar das Laster zuweilen unbestraft bleiben mochte, aber weder
der Beleidigte jemals vergebens um Hilfe, noch der Tugendhafte und der sich
auszeichnende Mann umsonst um Belohnung nachsuchte.
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