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Der Fall
Amurath's oder das Schicksal der Tyrannei
Arabisches Märchen, Seite 2 ( von 5 )
Der unersättliche Tyrann schäumte vor Wut über sein
Missgeschick, und das feige Blut verließ seine Wangen, als er an seine
Entweichung dachte. Er setzte einen hohen Preis auf den Kopf des Kindes und der
Sklavin, und befahl seinen Emissarien bei Todesstrafe, ihn in seine Hände
zu liefern.
Schon achtzehn Sommer hatten in friedsamer Fruchtbarkeit lächelnd
Amurath's Staaten beschienen, und gleichwohl blickte der Cherub Friede noch
nicht lächelnd auf das Herz des boshaften Tyrannen herab; achtzehn Winter
hatten sich bereits seit der Flucht des kleinen Selim in stürmischer
Majestät über die nördlichen Inseln gelagert, und noch sah die
umwölkte Stirn des Sultans Amurath dunkler als der nördliche Himmel
aus; denn der gefürchtete Flüchtling war trotz aller Nachsuchung
unentdeckt geblieben, und fruchtlos waren seine Bemühungen und seine
Versprechungen gewesen.
Aber die Eifersucht eines Tyrannen dauert länger als der
südöstliche Mehltau. Die Sklaven des Despotismus sind in ihrem
Gewerbe des Todes weit betriebsamer als der Geier, der auf menschlichen
Gräbern sich nährt. Selim's Aufenthalt wurde noch immer von den
Spionen des Hofes aufgesucht, und Tausende hofften zu Ehren und
Reichtümern zu gelangen, wenn sie die Entdeckung vor den Ohren des
Königs bekannt machten.
Aber Selim, der die gefährliche Hoheit seiner Geburt nicht kannte,
kultivierte ohne Geräusch sein genügsames Herz. Der klare Bach, der
sein kleines Feld durchschlängelte, stillte mit seinem kühlenden
Überfluss seinen Durst, und flößte ihm mit seinem murmelnden
Gesang Gefühle der Zärtlichkeit ein. Seine Früchte und seine
Kräuter versahen, zugleich mit der Milch von seiner kleinen Herde, seine
Tafel mit Speisen. Seine niedrige Hütte schützte ihn vor den
Dünste der Nacht, und seine duftende Laube gegen die drückende Hitze
des Tages, und sein Leben war ein abwechslungsreiches Reich von betriebsamer
Zufriedenheit, die seinen Körper mit Gesundheit stärkte, und von
frommen Betrachtungen und Gebeten, welche seine tugendhafte Seele zu den
erhabenen Freuden des Himmels emporhoben. O Stille blühender Unschuld und
Freude! O Reich ländlicher Harmonie und Liebe! Die Morgensänger
weckten ihn mit dem ersten Schimmer der Morgenröte zu seinen munteren
Arbeiten auf; das Gesimse geschäftiger Bienen, die seine Laube
umschwärmten, unterhielt ihn bis zu seiner mittäglichen Ruhe und der
Vogel, der in die blühende Rose verliebt, zärtliche Lieder singt,
wirbelte in jeden Abend in einen sanften Schlaf.
Die blühende Arba hatte die Reize seiner kraftvollen Gestalt geschauet und
die zärtlichen Seufzer bemerkt, die aus seiner gepressten Brust sich
drängten; denn die jugendliche Schönheit der lächelnden Arba
machte auf Selim's Herz einen tiefen Eindruck; die Vorzüge ihres Geistes
waren seinem durchdringenden Blick nicht entgangen, und sein Busen glühte
für die keusche Einfalt des ländlichen Mädchens.
Cirkassien hatte nie ein reizenderes Paar gesehen. Stattlich war der
Jüngling wie die Zeder des Libanons, und das Mädchen war weit
liebenswürdiger als die Myrte in ihrer Blüte. Wenn Würde und
Ehrfurcht auf seinen ausdrucksvollen Augenbrauen majestätisch saßen,
so waren Frohsinn und Wahrheit auf ihrer glänzenden Stirn
ausgedrückt. Seine schwarzen Augen waren wie der Adler voll Geist und
Feuer, ihrer, denen einer Turteltaube gleich, schmachteten von
Zärtlichkeit und Liebe, oder schienen wie das Azurgewölbe des Himmels
voll Milde und Ruhe.
Aber Selim's Zufriedenheit sollte nicht ewig dauern. Der finstere Hass des
Tyrannen war noch immer wach, und obgleich die tödlichen Abgesandten
seiner Grausamkeit den Feind seiner ruhe nicht entdecken konnten, so merkten
dennoch die Mächte der Hölle auf das Gebet seiner Wut.
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