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Der Fall
Amurath's oder das Schicksal der Tyrannei
Arabisches Märchen, Seite 4 ( von 5 )
Aber Angst und Schrecken wechselten in ihrem Herzen mit einander ab, als von
dem Anführer der Rotte der Rang des unwissenden Selim's öffentlich
bekannt gemacht und der grausame Befehl des Tyrannen Amurath produziert wurde.
Nun erst waren dem königlichen Jüngling die sterbenden Worte seiner
vermeinten Mutter verständlich, als sie ihn zum letzten Mal umarmend bat,
dass ewige Vergessenheit auf dem unglücklichen Geheimnis seiner Geburt
ruhen möge.
Arba riss, ihrer Sinne fast ganz beraubt, ihre braunen Locken von ihrem
liebenswürdigen Haupt und rief mit überströmenden Augen, die sie
zu dem weniger schönen Gewölbe des Himmels aufschlug, Gott und seinen
Propheten laut um Hilfe an, während der unglückliche Liebhaber in
eine Bildsäule der Verzweiflung verwandelt, seine plötzliche Angst
bloß durch seine Seufzer auszudrücken vermochte.
Die unbarmherzigen Janitscharen waren nun im Begriff ihre hilflose Beute
wegzuschleppen, als der Fluss, der den Garten des gläubigen Selim
durchkreuzte, plötzlich zu einem ungestümen Strom anschwoll und die
Wache zugleich mit den Gefangenen fortriss, und als das Wasser wieder
abgelaufen war und die zitternden Janitscharen das Ufer erreicht hatten, fanden
sie die liebenswürdige Arba halb ertrunken in ihren Armen, aber Selim war
nirgends zu sehen.
Schrecken und Bestürzung herrschte jetzt unter dem wilden Haufen und weil
sie zu ihrem wütenden Herrn ohne den furchtbaren Sohn nicht
zurückzukehren wagten, so beschlossen sie, sich in dem ganzen Lande zu
zerstreuen, um ihn lebendig oder tot aufzusuchen.
Selim war mittlerweile von dem Strom eine beträchtliche Strecke
weggeschwemmt , und ganz empfindungslos an das Ufer an der Seite eines
entfernten Waldes geworfen worden. Die warmen Strahlen der Sonne zerstreuten
bald die finstern Nebel, die den Lebensstrahl verdunkelten und der Sohn
Almoran's fing wieder an zu atmen.
Der ängstliche Liebhaber warf nun wild seine Augen umher, aber blickte
vergebens nach dem teuren Gegenstand seines Herzens; und fing, von Verzweiflung
gepeinigt, und ungewiss wegen des Schicksals seiner Arba über den
grausamen Zufall zu jammern an, der ihn von dem Untergang im Wasser gerettet
hätte, als eine plötzliche Erleuchtung den Wald überstrahlte und
in einer Weihrauchwolke, die lieblicher duftete als alle Wohlgerüche
Arabiens, der Genius Nuradien vor ihn trat und ihn mit seinem angenehmen
Auftrag erfreute.
"Überlass Dich nicht der Verzweiflung, o teurer Liebhaber der
tugendhaften Arba, Du bestimmter Beherrscher der Nationen des Orients. Gerettet
ist der schöne Gegenstand deiner Liebe aus dem überwältigenden
Strom, und Nuradin's Schutz wird sie unverletzt für Deine Umarmung
erhalten. Aber erhebe Dich, edler Jüngling, zu kühneren Taten und
höre auf die Stimme deines Vaterlandes. die Schrecken der Tyrannei
schleichen ungehindert umher und Du allein kannst der Schild eines Dir
ergebenen Volkes sein. Da Amurath Dir also nicht erlaubt ein Untertan in
Frieden zu sein, so fasse den Entschluss ein Beherrscher durch Krieg zu werden.
Reif sind die Nationen zur Empörung und bloß der Mangel an einem
Anführer ist bis jetzt die einzige Sicherheit des unmenschlichen Tyrannen
gewesen. Dieser Mangel ist jetzt gehoben und meine Sorge soll es sein, unter
den Verhüllungen, welche ich zur Erreichung Deines Vorhabens für
zweckmäßig halte, der Welt Deine Absichten und Deinen Aufenthalt
bekannt zu machen.
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