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Der Fall
Amurath's oder das Schicksal der Tyrannei
Arabisches Märchen, Seite 3 ( von 5 )
Als Amurath auf seinem königlichen Lager ganz verwirrt lag, neue
Grausamkeiten in seiner schwarzen Seele ausbrütete, und eingebildete
Gefahren vor dem entflohenen Sprössling des Heerschers Almoran seine
Phantasie peinigten, so wurde er durch die plötzliche Erscheinung der
Sklavin, die das Kind Selim seiner Wut entrissen hatte, in eine heftige
Bewegung gesetzt. Die Sorgen des Alters hatten sich um ihre umwölkte Stirn
gelagert, und am Fuß seines Lagers stehend, redete sie ihn mit schwacher
Stimme also an: "O Statthalter des Propheten, unsterblicher Amurath! Du
Beherrscher der Fürsten und gefürchteter Herr der Nation, willst Du
den Worten Deiner Sklavin ein geneigtes Gehör schenken? mir sind die
ängstlichen Bekümmernisse Deines Herzen oder die schrecklichen Sorgen
unbekannt, die Du in Betreff des kleinen Selim's empfunden hast, den ich vor
Deiner Wut verbarg.
Aber Friede kehre zu dem königlichen Amurath zurück! Das Herz des
Herrn der Nation möge wieder von Ruhe bewohnt werden, denn Salim, Dein
gefürchteter Feind, soll in deine Hände geliefert werden.
In dem Tal von Cirkassien verbirgt er die stolzen entwürfe seines
rebellischen Herzens und hüllt seinen hohen Übermut in die
Niedrigkeit eines Schäfergewandes ein. Unbekannt wie der hochmütige
Erbe des Verräters Almoran, lebt er in Dunkelheit und verstellter
Zufriedenheit, und wird bloß mit dem Namen des muntern Landmanns, der
glücklichen Hütte bezeichnet.
Strecke daher den rechten Arm deiner Macht aus und zerstreue das drohende
Ungewitter, bevor es ausbricht. Zerschmettere mit Deiner Herrscherferse das
Haupt der jungen Schlange, bevor sie einen Stachel zum Verwunden bekommen hat.
Aber Dein Grimm darf nicht mit seinem Tode erlöschen; denn Deine Rache
muss auch Deinen Wünschen ein angenehmes Opfer bringen. Arba, der
schöne blühende Stolz von Cirkassien mit Reizen geschmückt, die
alle Schönheiten Deines Serails bei weitem übertreffen, ist den Armen
Deines Nebenbuhlers bestimmt. Sie sollst du zur Genossin Deines
nächtlichen Lagers erheben und in überirdischen Reizen schwelgen.
Ich danke Dir, rief der Tyrann vor boshafter Freude aufspringend, ich danke Dir
für das dargebrachte Geschenk. Angenehm ist mir die Nachricht und
groß soll Deine Belohnung sein. Aber vorher musst du für die Qual,
die Du mir durch eine so lange Verheimlichung meines Feindes verursacht hast,
büßen. Wache! bringt die Folter, denn da die Beleidigung
vorausgegangen ist, so muss auch die Bestrafung voraus gehen.
Ungeheuer! rief das Bedrohte Opfer, indem sie zu einer Riesengröße
anschwoll und mit ihren teuflischen Zähnen knirschte, während ihre
dunklen Fittiche aus ihren ungestalteten Schultern hervordrangen, Deine Rache
und Deine Folter sind vergeblich. Den Flüchtling, vor dem Du Dich
fürchtest, kannst Du an dem angezeigten Ort finden; aber der Engel des
Todes hat die treue Sklavin Deiner Macht entrückt.
Ein Donnerschlag erschüttert das Serail, als sie so sprach, und der
böse Dämon verschwand in der Luft.
Amurath bot seine bestürzte Wache auf, und befahl ihnen Selim und Arba,
die Opfer seiner Rache aufzusuchen und vor ihn zu bringen, damit seine Augen
sich an den zuckenden Qualen des einen und seine sinnlichen Triebe sich an den
blühenden Reizen der anderen weideten.
Die Janitscharen eilten, ihren Auftrag zu erfüllen. Die beiden Liebenden
überließen sich ganz unbefangen den süßen Gefühlen
einer zärtlichen und unschuldigen Liebe und sahen, während ihrer
Phantasie ihr künftiges Glück ihnen mit entzückenden Bildern
ausmalte, in Selim's Laube einer in die Arme des andern, als die grausamen
Abgeordneten in diese friedliche Wohnstätte hereinstürzten. Das
unschuldige Paar geriet in Bestürzung und Verwirrung.
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