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Geschichte
des Rebhuhns mit den Schildkröten
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 2 ( von 5 )
Da sah er zwei Jungen von zwölf Jahren, die an einer Mauer saßen,
und hörte, wie Einer zum Andern sagte: "Hast du schon gehört,
dass unser Feld aus Mangel an Regen ganz verdorrt ist? Alles Unglück kommt
von unserm König, der die Gelehrten und Veziere schuldlos hat umbringen
lassen, bloß um seine Geliebte, die Feindin Gottes und der Menschen,
zufrieden zu stellen."
Der zweite Junge erwiderte dem ersten: "Das ist noch nicht Alles, du wirst
noch Schlimmeres erleben." - "Wie!" versetzte der Erste,
"gibt es etwas Schlimmeres, als keinen Regen zu haben?" - "Ja
wohl," erwiderte der Andere; "schon hat ein benachbarter König
dem unsrigen einen Boten geschickt, durch welchen er ihn auffordern lässt,
ihm ein Schloss mitten im Meer auf die Oberfläche des Wassers zu bauen;
vermag er dies nicht, so wird er zwölftausend Regimenter, jedes aus
tausend Kriegern bestehend, abschicken, um Besitz von seinem Königreich zu
nehmen, und wisse, dass dieser König sehr mächtig ist und über
ein unzählbares Volk herrscht; wenn nun unser König dieses Übel
nicht abzuwenden weiß, so ist es um unsere Stadt geschehen; denn unser
Nachbar war ein Feind des Vaters unsers Königs; er wird dann Männer
und Kinder umbringen, die Frauen in Gefangenschaft führen, alles
Vermögen rauben und den König verbannen. Gott stehe uns bei!"
Des Königs Tränen flossen im Übermaße, als er diese
Gespräch hörte, und er dachte: dieser Junge muss sehr klug sein, wie
kann er Etwas von dem Boten wissen, der noch Niemanden gesprochen? Vielleicht
wird mir Gott durch ihn helfen. Er näherte sich hierauf dem Jungen und
sagte: "Was hast du eben vom König erzählt, lieber Junge, ist
wahr, er hat mit Unrecht seine Veziere und Weisen umbringen lassen; doch woher
weißt du, was der König von Indien unserm König
geschrieben?" - "Ich weiß es," sagte der Junge,
"Durch meine Zauberkunst, die ich von meinem Vater gelernt." Da
fragte der König: "Gibt dir diese wohl ein Mittel an, durch welches
der König aus seiner Not gerettet werden könnte?" - "Wohl
weiß ich ein Mittel," antwortete der Junge; "doch ich werde es
nur dem König selbst offenbaren, wenn er mich rufen lässt und um Rat
fragt." Da fragte der König: "Woher kennt er dich, dass er nach
dir schicken soll?" Der Junge erwiderte: "Wenn er nach dem Gelehrten
und Weisen schickt, so findet er auch mich unter dieser Zahl, tut er dies aber
nicht und fährt fort, bei seinen Weibern sich zu zerstreuen, so werde ich
nicht zu ihm gehen, um auch, wie seine Veziere, umgebracht und dazu noch von
allen Leuten für blödsinnig gehalten zu werden; dann würde sich
das Sprichwort bestätigen: Wer mehr Kenntnisse hat, als Verstand, der geht
durch seine Kenntnisse wegen seiner Torheit zu Grunde." Der König,
erstaunt über die Worte diese Jungen, fragte ihn nach seiner Wohnung, und
der Junge antwortete: "Ich wohne in dieser Stadt, und hier ist die Mauer
meines Hauses." Der König merkte sich sein Haus, grüßte
die Jungen, kehrte freudig in sein Schloss zurück, legte die Trauerkleider
ab und zog wieder sein königliches Gewand an, aß und trank und
dankte Gott, bekannte sein Verbrechen, bat um Vergebung und beschloss,
Buße zu tun und fromme Werke zu vollbringen. Sodann ließ er einen
seiner Diener rufen und beschrieb ihm das Haus des Jungen, den er an der Mauer
gesehen, so wie den jungen selbst, und die Straße, in welcher er wohnte,
und sagte ihm: "Geh' zu diesem Jungen und sage ihm in einem milden,
einnehmenden Tone: der König lässt dich zu sich bitten, um dich
über Etwas zu befragen, das dir viel Glück bringen wird." Der
Bote traf den Jungen noch an derselben Stelle der Mauer, wo ihn der König
verlassen, und teilte ihm den Wunsch des Königs mit. "Ich bin bereit
zu gehorchen," sagte der Junge, folgte sogleich dem Boten, verbeugte sich
mit Anstand vor dem König, grüßte ihn und wünschte ihm
Glück. Der König hieß ihn sitzen und fragte ihn:
"Weißt du wohl, wer heute an deinem Hause vorüberging und mit
dir sprach?" Der Junge fing an nachzudenken und auszurechnen, und sagte
nach einer Weile: "Du warst es, erhabener König!" -
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