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Geschichte
der Spinne mit dem Winde
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 6 ( von 6 )
Der Prinz teilte viele Almosen aus und ward im ganzen Reiche bemitleidet. Nach
einigen Tagen kamen die Veziere und Großen des Reichs zu ihm und
trösteten ihn, indem sie ihm sagten: "Du musst nun die Trauer aus
deinem Herzen verscheuchen, denn du bist durch den Tod deines Vaters unser
König und musst seine Stelle auf dem Thron einnehmen; was geschehen ist,
war Gottes Wille, in den sich Jeder fügen muss." Der Prinz sagte:
"Tut, was ihr für euch gut haltet, ich widersetze mich eurem Willen
nicht." Sie küssten ihm die Hände, zogen ihm die Erbprinz
-Uniform aus und bekleideten ihn mit dem königlichen, golddurchwirkten und
mit Perlen und Edelsteinen besetzten Gewande, setzten ihn auf den
königlichen, mit Juwelen verzierten Thron und verbeugten sich vor ihm, wie
sie es vor seinem Vater getan. Nach dieser Zeremonie mussten Ausrufer in der
Stadt verkünden, dass die Trauer ein Ende habe und dass Jeder wie
früher in Ruhe und Sicherheit kaufe und verkaufe. Alle Städte des
ganzen Landes wurden sieben Tage lang festlich geschmückt, und es fanden
allerlei Festlichkeiten, Mahlzeiten, musikalische Unterhaltungen und
öffentliche Spiele statt. Am vierten Festtage ritt der König in der
Mitte seiner Veziere an der Spitze seiner Truppen mit unzählbarem Gefolge
aus; die Freude des Volkes war sehr groß, und von allen Seiten brachte
man ihm Glückwünsche dar. Nachdem er viele Geschenke ausgeteilt
hatte, ritt er unter Begleitung von Zimbeln und Trommeln, von deren Schall der
Boden zitterte, in seinen Palast zurück. Bald ward er noch mehr als sein
Vater, wegen seiner Bildung, Weisheit und Tapferkeit, geachtet und geehrt, denn
auch sein Verfahren gegen seine Untertanen war gerecht, mild und dem
göttlichen Gesetze gemäß. Aber nach einiger Zeit verblendete
ihn Satan durch weltliche Gelüste, er liebte allzu leidenschaftlich das
schöne Geschlecht und übertrat deshalb die Gesetze Gottes und seine
Pflichten gegen seine Untertanen; denn sobald er eine schöne Frau sah,
musste er sie besitzen, und war es auch die Frau seines Veziers; auch brachte
er oft ganze Monate in seinem Harem zu, ohne sich um die Regierung zu
kümmern.
Die Veziere waren über diese Lebensweise des Königs sehr
betrübt; sie versammelten sich heimlich, um zu beraten, was zu tun sei, um
das Land von dem Verderben zu retten, das ihm durch die Nachlässigkeit des
Königs drohte. Sie ließen auch den Vezier Schimas rufen und fragten
ihn, ob der Lebenswandel des Königs, der allen Verträgen zuwider
handle und oft ganze Monate unsichtbar bleibe, ihm keine Sorgen mache? In
diesem Augenblick sah Schimas einen der Offiziere des Schlosses, welcher aus
dem Palaste kam; er ging auf ihn zu und sagte ihm: "Melde dem König,
ich habe ihm etwas Wichtiges mitzuteilen und bitte nach seinem Mittagsmahle um
die Erlaubnis, ihn zu besuchen, vergiss aber ja nicht!" Nach der Tafel
ging der Offizier zum König und sagte ihm: "Schimas bittet um die
Erlaubnis, dir etwas Wichtiges mitzuteilen." Der König ließ ihn
hereinkommen, und nach wechselseitigen Grüßen fragte er ihn
erschrocken, was ihn herbringe? Schimas erwiderte: "Erschrick nicht vor
mir, o erhabener König, ich sehne mich nach deinem glorreichen Antlitz,
das ich so lange schon nicht gesehen, auch wünsche ich dir Einiges
mitzuteilen." - "Sprich ohne Scheu!" - "O König! Gott
hat von deiner Jugend an dich durch Kenntnisse und Weisheit ausgezeichnet und
dir Macht und Reich geschenkt, damit du über deine Herde wachest; nun
zerstreue nicht, was er so herrlich ausgestattet; ich sehe leider, dass du alle
deine Herrscherpflichten vernachlässigst und bloß deinen Begierden
nachhängst; lass aber von diesem Wandel, denn das Wohl des Königs
hängt von dem seiner Untertanen ab. Du kennst selbst das Gute und
weißt, was dein seliger Vater dir eingeschärft." - "Und
was ratest du mir zu tun?" - "Du sollst die Folgen bedenken und auf
dem geraden Weg zurückkehren, auf dem das wahre Leben sich findet; folge
nicht den Leidenschaften, die dich ins verderben stürzen, dass es dir
nicht gehe wie dem Mann mit dem Fisch." - "Wie war das?" -
Schimas erzählte: Geschichte des Mannes mit dem
Fische
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