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Geschichte
der Spinne mit dem Winde
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 3 ( von 6 )
Der gerechte König nahm seine Entschuldigung an, setzte ihn zur Rechten in
seinem Diwan und sicherte ihm ein reiches Einkommen für sein ganzes Leben
zu." - Als der Vezier nach der Anwendung diese Beispiels fragte, sagte der
Prinz: "Der gerecht König stellt die zukünftige Welt vor, der
gewalttätige diese Welt; der Kaufmann ist das Bild des Menschen, das Geld
bedeutet die Gaben Gottes, und die Edelsteine die schönen frommen Werke;
wer sich damit begnügt, für unentbehrliche Bedürfnisse dieses
Landes tagtäglich zu sorgen, und mit der übrigen Zeit sich jene Welt
zu verschaffen sucht, der stellt beide Teile zufrieden." Der Vezier fragte
dann: "Werden Körper und Seele gleich sein in Lohn und Strafe?"
- "Sie nehmen gleichen Anteil an Allem, denn sie handeln auch hier in
Gemeinschaft, wie einst ein Blinder und ein Lahmer." - "Was ist das
für eine Geschichte?" - Ein Blinder und ein Lahmer, welche Freunde
waren und miteinander bettelten, wünschten sich eines Tages, ein reicher
Mann möchte sie doch in seinen Garten aufnehmen; dies hörte ein
gutherziger Mann, der einen Garten hatte, er bemitleidete sie, nahm sie in
seinen Garten, pflückte ihnen Früchte, ließ sie im Garten und
bat sie nur, Nichts darin zu verderben. Sobald diese aber die süßen
Früchte gekostet hatten, schmeckten sie ihnen so gut, dass sie nach mehr
gelüsteten.
Der Lahme und der Blinde teilten einander ihr Verlangen mit; der Lahme
bedauerte, nicht zu den Früchten gelangen zu können, und der Blinde,
sie nicht zu sehen. Während sie so nach diesen Früchten schmachteten,
kam der Wächter zu ihnen und fragte sie, warum sie so traurig wären,
als sie ihm die Ursache gestanden, rief er ihnen zu: "Wehe euch! habt ihr
nicht gehört, wie der Eigentümer des Gartens euch gewarnt hat, Nichts
im Garten zu verderben? Bezähmt daher eure Begierde, sonst wird er euch
aus seinem Garten jagen. Aber sie erwiderten: "Wir müssen von diesen
Früchten haben, der Eigentümer wird Nichts merken; wir bitten dich,
uns nicht zu verraten und uns ein Mittel anzugeben, wie wir unsere Begierde
befriedigen können." Als der Wächter sah, dass sie seinem Rate
nicht folgen wollten, sagte er zum Blinden: "Richte dich auf und nehme den
Lahmen auf deine Schultern, er wird mit seinen Augen dich leiten und du mit
deinen Füßen ihn zum Baum tragen; ich entferne mich, und ihr
könnt dann eure Lust stillen." Der Blinde erhob sich sogleich, nahm
den Lahmen auf die Schulter und trug ihn an den Baum hin, wo sie nun
Früchte pflückten und Zweige zusammenrissen und den ganzen Garten
zertraten. Sobald der Eigentümer des Gartens aber heimkehrte und den
ganzen Garten in Unordnung fand, ging er zornig auf sie los und sagte ihnen:
"Was habt ihr getan? ist das der Lohn dafür, dass ich euch in meinen
Garten gelassen und euch von dessen Früchten gereicht habe? Konntet ihr so
mein Vertrauen missbrauchen?" Sie antworteten: "O Herr! du
weißt doch, dass wir Nichts verderben konnten, der Eine ist ja blind und
der Andere lahm." Aber er erwiderte: "Wollt ihr eure Tat auch noch
leugnen? glaubt ihr, ich wisse nicht, wie ihr es gemacht? Hättet ihr eure
Schuld gestanden, so würde ich euch eures Weges gehen lassen; weil ihr sie
aber noch leugnet, verdient ihr bestraft zu werden." Er jagte sie hierauf
aus dem Garten und warf sie in einen Kerker, wo sie umkamen. - "Die
Bedeutung dieser Parabel," fuhr der Prinz fort, "ist folgende: Der
Blinde stellt den Körper vor und der Lahme die Seele; der Garten ist das
Bild der Welt, der Eigentümer des Gartens ist Gott der Schöpfer; der
Baum bedeutet die tierische Lust, und der Wächter den Verstand, der vor
dem Bösen warnt und das Gute empfiehlt, darum müssen Körper und
Seele den Lohn der Strafe mit einander teilen." Schimas fragte ferner:
"Welcher Gelehrte ist der vorzüglichste?" - "Der nach den
Geboten des Herrn handelt, nur sein Wohlgefallen sucht und sein Unwillen
scheut." - "Welche Gebote sollen wir uns am meisten zu Herzen
nehmen?" - "Die, welche uns auffordern, gegen Nebenmenschen mild zu
sein, unsern Stolz zu beugen und oft an Gott zu denken; wer dies tut, gleicht
dem, der einen klaren Spiegel immer säubert, so dass er stets an Glanz
zunimmt." -
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