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Geschichte
der Spinne mit dem Winde
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 4 ( von 6 )
"Welche Schätze sind die vorzüglichsten?" - "Die des
Himmels, Lob und Preis Gottes; auch Wohltätigkeit gehört zu den
Schätzen des Himmels." - "Was entstellt Einsicht, Vernunft und
Wissenschaft?" - "Die Begierde und Leidenschaften; sobald diese bei
den Menschen Eingang finden, entarten sie alle seine Vorzüge, und er
gleicht dem in der Luft schwebenden Raben." - "Wie so das?"
"Ein Rabe," erzählte der Prinz, "der verständigste und
bescheidenste unter den Vögel seiner Zeit, lebte lange in einer einsamen
Wüste; da kam eines Tages ein Jäger in die Wüste, spannte sein
Netz aus, warf ein Stückchen Fleisch hinein und ging fort. Der Rabe sah
dies aus der Ferne, aber seine Begierde nach dem Fleische war so groß,
dass er das Netz darüber vergaß; er ließ sich herunter, fiel
über das Fleisch her und verstrickte sich im Netze. Als der Jäger
wiederkam und den Raben im Netze sah, sagte er ganz erstaunt: Ich habe das Netz
nur für kleine Vögel ausgespannt, wie kommt's, dass du,
verständiger Rabe, dich in eine solche Gefahr stürzest? -
"Daraus sehen wir," fuhr der Prinz fort, "dass die
Lüsternheit über alle Tiere viel Gewalt übt. Der Mensch muss
daher, wenn er mit den Augen seines Verstandes sich von Begierde ergriffen
sieht, mit aller Kraft dagegen kämpfen und sich nicht von ihnen, wie ein
Esel am Zaume, in den Abgrund führen lassen, sonst geht es ihm schlecht
und er findet nie Ruhe." Der Vezier fragte dann: "Was ist der Vezier
dem Sultan schuldig?" - "Ihm seinen Rat zu erteilen," antwortete
der Prinz, "seine Geheimnisse zu bewahren, ihn über Alles
aufzuklären, Nichts zu vernachlässigen, was ihm übertragen ist,
dem Zorn des Königs auszuweichen, auf eine Weise ihn anzureden, dass er
ihn wohl verstehe, nicht mehr von ihm zu fordern, als seine Stellung ihm
gegenüber ziemt, ihn zart wie ein Kind zu behandeln und ihn nie in seinen
Reden zu verletzen, sonst möchte es ihm gehen, wie dem Jäger mit dem
Löwen." - "Wie war das?" fragte Schimas. Der Prinz
erzählte: Einst lebte ein Jäger, der wilden Tiere nachjagte, ihr
Fleisch verkaufte und ihre Haut und was er nicht verkaufen konnte, einem
Löwen hinwarf, der sich in der Wüste an ihn gewöhnte und zuletzt
so zahm wurde, dass er sich ihm nähern, seinen Rücken streicheln und
seinen Schwanz in die Hand nehmen durfte. Als der Jäger die
Unterwürfigkeit des Löwen sah, dachte er eines Tages: Ich will einmal
auf ihm reiten, um mich dessen bei meinen Freunden rühmen zu können.
Als er dies tat, geriet der Löwe in Zorn, hob die Tatze auf, schlug den
Jäger damit, zerriss ihn mit seinen Klauen und trat ihn mit
Füßen. So darf auch der Vezier," schloss der Prinz, "durch
die Milde des Sultans sich nicht verleiten lassen, ihn zu beleidigen."
Dann fragte Schimas: "Was soll ein Vezier tun, wenn der König
ungerecht und gewalttätig ist, wenn ihm schlechte Handlungen aufgetragen
werden und er nicht im Stande ist, den Sultan vom Bösen abzubringen?"
- "So soll er," antwortete der Prinz, "nachdem sein wiederholter
Rat nicht angehört worden, sich von ihm trennen." - "Und was
sind dem König seine Untertanen schuldig?" - "Ihm gehorsam sein,
an seiner Freude, wie an seinen Leiden, Teil nehmen, ihm geben, was ihm
gebührt, ihr Leben für ihn opfern und ihm dankbar sein, wenn er
gerecht und wohltätig ist." - "Und was ist der König seinen
Untertanen schuldig?" - "Ein König, der sein Reich befestigen
will, muss Gottes Gebote befolgen, gegen alle seine Untertanen gerecht sein und
sich eifrig mit den Regierungsangelegenheiten beschäftigen."
Nachdem nun der Prinz noch über vieles Andere gefragt wurde, und seine
Antworten den höchsten Beifall aller Anwesenden gefunden hatten, fragte
der König: "Nun, was sagt ihr zu diesem Prinzen? verdient er euer
König zu werden?" Schimas antwortete: "O mächtiger,
einsichtsvoller, treuherziger König! du bist unser Herr und Gebieter, und
nach deinem Wille richtet sich all unser Streben; Jeder von uns wird sich
freuen, wenn du sogleich deinen Sohn zu deinem Nachfolger ernennst, denn er ist
würdig, König zu werden; er ist ja dein Sohn und hat seine
Gelehrsamkeit vor allen Weisen an den Tag gelegt."
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