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Schneewittchen
Märchen der Gebrüder Grimm, Seite 3 ( von 6 )
Die Königin aber, nachdem sie Schneewittchens Lunge und Leber glaubte
gegessen zu haben, dachte nicht anders als sie wäre wieder die erste und
aller schönste, trat vor ihren Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?"
Da antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Schneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr."
Da erschrak sie, denn sie wusste, dass der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und
merkte dass der Jäger sie betrogen hatte, und Schneewittchen noch am Leben
war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so
lange sie nicht die schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid
keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie
sich das Gesicht, und kleidete sich wie eine alte Krämerin, und war ganz
unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den
sieben Zwergen, klopfte an die Türe, und rief: "Schöne Ware,
feil, feil!" Schneewittchen guckte zum Fenster hinaus und rief:
"Guten Tag, liebe Frau, was habt ihr zu verkaufen?" "Gute Ware,
schöne Ware," antwortete sie, "Schnürriemen von allen
Farben", und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war.
"Die ehrliche Frau kann ich herein lassen" dachte Schneewittchen.
"Kind", sprach die Alte, "wie du aussiehst! komm, ich will dich
einmal ordentlich schnüren." Schneewittchen hatte kein Arg, stellte
sich vor sie, und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen
schnüren: aber die Alte schnürte geschwind, und schnürte so
fest, dass dem Schneewittchen der Atem verging, und es für tot hinfiel.
"Nun bist du die schönste gewesen" sprach sie, und eilte hinaus.
Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie
erschraken sie, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen sahen;
und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die
Höhe, und weil sie sahen, dass es zu fest geschnürt war, schnitten
sie den Schnürriemen entzwei: da fing es an ein wenig zu atmen, und ward
nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten was geschehen war,
sprachen sie: "Die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose
Königin: hüte dich und lass keinen Menschen herein, wenn wir nicht
bei dir sind." Das böse Weib aber, als es nach Haus gekommen war,
ging vor den Spiegel und fragte:
Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?"
Da antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Schneewittchen über den Bergen
bei den sieben Zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr."
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrak sie, denn
sie sah wohl dass Schneewittchen wieder lebendig geworden war. "Nun
aber," sprach sie, "will ich etwas aussinnen, das dich zu Grunde
richten soll", und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie
einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines
anderen alten Weibes an.
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