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Hänsel
und Gretel
Märchen der Gebrüder Grimm, Seite 2 ( von 5 )
Und weil sie die Schläge der Holzaxt hörten, so glaubten sie ihr
Vater wäre in der Nähe. Es war aber nicht die Holzaxt, es war ein
Ast, den er an einen dürren Baum gebunden hatte und den der Wind hin und
her schlug. Und als sie so lange gesessen hatten, fielen ihnen die Augen vor
Müdigkeit zu, und sie schliefen fest ein. Als sie endlich erwachten, war
es schon finstere Nacht. Gretel fing an zu weinen und sprach: "Wie sollen
wir denn nun aus dem Wald kommen!" Hänsel aber tröstete sie,
"wart nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann wollen wir den
Weg schon finden." Und als der volle Mond aufgestiegen war, so nahm
Hänsel sein Schwesterchen an der Hand und ging den Kieselsteinen nach, die
schimmerten wie neu geschlagenen Batzen und zeigten ihnen den Weg. Sie gingen
die ganze Nacht hindurch und kamen bei anbrechendem Tag wieder zu ihres Vaters
Haus. Sie klopften an die Tür, und als die Frau aufmachte und sah dass es
Hänsel und Gretel war, sprach sie: "Ihr bösen Kinder, was habt
ihr so lange im Walde geschlafen, wir haben geglaubt ihr wolltete gar nicht
wieder kommen." Der Vater aber freute sich, denn es war ihm zu Herzen
gegangen, dass er sie so allein zurück gelassen hatte.
Nicht lange danach war wieder Not in allen Ecken, und die Kinder hörten
wie die Mutter Nachts im Bette zu dem Vater sprach: "Alles ist wieder
aufgezehrt, wir haben noch einen halben Laib Brot, hernach hat das Lied ein
Ende. Die Kinder müssen fort, wir wollen sie tiefer in den Wald
hineinführen, damit sie den Weg nicht wieder heraus finden; es ist sonst
keine Rettung für uns." Dem Mann fiels schwer aufs Herz und er
dachte: "Es wäre besser, dass du den letzten Bissen mit deinen
Kindern teiltest." Aber die Frau hörte auf nichts, was er sagte,
schalt ihn und machte ihm Vorwürfe. Wer A sagt muss auch B sagen, und weil
er das erste Mal nachgegeben hatte, so musste er es auch zum zweiten Mal.
Die Kinder waren aber noch wach gewesen und hatten das Gespräch mit
angehört. Als die Alten schliefen, stand Hänsel wieder auf, wollte
hinaus und Kieselsteine auflesen, wie das vorigemal, aber die Frau hatte die
Tür verschlossen, und Hänsel konnte nicht heraus. Aber er
tröstete sein Schwesterchen und sprach: "Weine nicht, Gretelchen, und
schlaf nur ruhig, der liebe Gott wird und schon helfen." Am frühen
Morgen kam die Frau und holte die Kinder aus dem Bette. sie erhielten ihr
Stückchen Brot, das war aber noch kleiner als das vorigemal. Auf dem Wege
nach dem Wald bröckelte Hänsel es in der Tasche, stand oft still und
warf ein Bröcklein auf die Erde. "Hänsel, was stehst du und
guckst dich um," fragte der Vater, "geh deiner Wege". "Ich
sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache und will mir Ade
sagen", antwortete Hänsel. "Narr", sagte die Frau,
"das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den
Schornstein oben scheint." Hänsel aber warf nach und nach alle
Bröcklein auf den Weg.
Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch
nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die
Mutter sagte: "Bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müde
seid, könnt ihr ein wenig schlafen; wir gehen in den Wald und hauen Holz,
und Abends, wenn wir fertig sind, kommen wir und holen euch ab." Als es
Mittag war, teilte Gretel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den
Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend verging, aber niemand
kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finsteren Nacht, und
Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte: "Wart nur, Gretel,
bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich
ausgestreut habe, die zeigen und den Weg nach Haus."
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