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Zauberhelene
Ungarisches Märchen, Seite 2 ( von 5 )
Nun begann der ganze Hofstaat viel zu weinen, besonders aber die Hofdamen, denn
alle hatten den kleinen Prinzen sehr lieb; er aber war mutig und guter Dinge,
küsste seinen königlichen Eltern die Hände, hing sich die beiden
Flaschen um, die des Lebens rechts, und die des Todes links, umgürtete
sich mit seinem Säbel und ging.
Er war schon lange gewandert, da kam er in ein Tal, das war voll Erschlagener.
Der kleine Königsohn nahm seine Flasche mit dem Wasser des Lebens,
spritzte einem der Toten in das Auge; also bald stand dieser auf, rieb sich die
Augen und sprach: "Ei! wie hab' ich so lange geschlafen." Der kleine
Königsohn fragte ihn: "Sage mir, was ist hier vorgegangen?" Der
Tote antwortete: "Wir haben gestern mit Zauberhelene gefochten, sie hat
uns zusammen gehauen." Der Königssohn rief aus: "Wenn Ihr so
schwach war't, Euch gegen ein Weib nicht schützen zu können, so
verdient Ihr nicht zu leben," spritzte ihn mit dem Wasser des Todes an,
und also dann fiel der Tote wieder unter die Leichen. Im nächsten Tal lag
ein ganzes Herr; der kleine Königssohn erweckte wieder einen Toten und
fragte: "Hat auch Euch Zauberhelene erschlagen?" "Ja,"
entgegnete der Tote. "Warum führt Ihr denn Krieg mit ihr?"
fragte er weiter. "Weißt Du nicht," versetzte der Tote,
"dass unser König sie heiraten will, dass sie aber keinen Andern zum
Gatten nimmt als den, der sie besiegt? Mit drei Heeren zogen wir gegen sie aus.
Gestern erschlug sie das eine, heute bei Sonnenaufgang uns, und jetzt
kämpft sie eben mit den Dritten." Der kleine Königsohn spritzte
den Redner mit dem Wasser des Todes an und also bald lag er wieder auf dem
Boden. Im dritten Tal lag das dritte Heer; der Erweckte sagte: "So eben
ist die Schlacht geendet, Zauberhelene hat uns Alle getötet."
"Wo find' ich sie?" sprach der kleine Königssohn.
"Über jenem Berge ist ihr Schloss," gab der Getötete
zurück und sank wieder um, sobald als ihn der Königssohn bespritzte.
Argilus - so hieß der kleine Königsohn - ging über den Berg,
und kam an Zauberhelenes Schloss. Es war offen. Er trat hinein. Niemand war
darin. In Zauberhelenes Schlafgemach hing ein Säbel, der sprang
unaufhörlich aus seiner Scheide und wieder zurück. "Ei wenn Du
so unruhig bist," dachte Argilus, "so will ich Dich für mich
nehmen, Du gefällst mir besser als mein Schwert, welches sich nicht
rührt, außer wenn ich es schwinge;" er zog seinen Säbel
und wechselte die Klingen aus. Kaum war dies geschehen, als Zauberhelene vor
ihm stand. "Du wagst es in mein Schloss zu dringen?" rief sie aus;
"Zieh', Du musst mit mir kämpfen. Sie riss den Säbel von der
Wand. Argilus zog die Klinge, die er eben eingetauscht. Sie begannen zu
fechten, aber wie sich die Säbel zum ersten Mal kreuzten, sprang
Zauberhelenes Säbel in der Mitte ab. Da frohlockte sie; "Du bist mein
Bräutigam!" fiel ihm um den Hals und herzte und küsste ihn, dass
es eine Freude war nur zuzusehen.
Nachdem sie einige Zeit in Freude und Glückseligkeit zusammen gelebt,
sprach Zauberhelene eines Morgens: "Geliebter Mann! ich muss Dich auf
kurze Zeit verlassen; es ist zum ersten- und letzten Mal, dass ich mich von Dir
trenne; in sieben Mal sieben Tagen bin ich zurück, dann soll unser Leben
in ewiger Freude dahinfließen. Alles im Schloss ist zu Deinem Befehl, nur
das letzte Zimmer betritt nicht, es könnte großes Unheil daraus
entstehen. Mit diesen Worten war sie verschwunden. Argilus verging die Zeit
sehr langsam seit Zauberhelene fern war; er durchlief das ganz Schloss, bis er
endlich an das letzte Gemach kam. Weil er jung und leichtsinnig war, schloss er
es auf. Da sah er einen alten Mann, sein Bart war Feuer, es war der
Flammenkönig Holofernes; Argilus aber wusste das nicht. Der alte Mann
hatte drei Reifen um den Bauch, jeder Reif war von Stahl, diese hielten ihn an
der Mauer fest. Der Flammenkönig sprach: "Ich grüße Dich,
junger Mann! sieh, mein Bart ist Flamme, mir ist so heiß, gib mir einen
Becher Wein." Weil nun Argilus gutmütig war, gab er ihm einen Becher.
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