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Die gebrochenen Eide

Rabbinisches Märchen, Seite 1 ( von 5 )

Es war einmal ein sehr reicher Mann, der nur einen Sohn hatte. Er ließ ihn in Allem unterrichten, so dass derselbe sehr gelehrt und geschickt wurde.
Vor seinem Tode gab der alte Mann ein sehr großes Fest und lud die Vornehmsten aus der Stadt dazu ein. Als das Gastmahl vorbei war, rief er seinen Sohn und ließ ihn schwören, bei dem Namen des großen Gottes der ganzen Welt, dass er nie reisen oder aus dem Lande gehen wolle. Dann überließ er ihm seinen ganzen Reichtum unter dieser Bedingung, ließ ihn zu diesem Zwecke eine Schrift vor Zeugen unterzeichnen, in Gegenwart der ganzen Gesellschaft, und gab dieselbe einem der Vornehmsten in Verwahrung.
Einige Jahre nach dem Tode des Vaters kam ein großes Schiff, mit köstlichen Waren beladen, aus Indien. - Der Kapitän fragte bei seiner Ankunft nach dem Vater des jungen Mannes; man antwortete ihm, dass dieser gestorben sei und einen Sohn hinterlassen habe, und führte ihn zu der Wohnung des Letzteren. Zu diesem sprach er: "Herr, ich habe großes Gut hierher gebracht, das deinem Vater gehört, und es ist noch sehr viel von seinem Eigentum zurückgeblieben; wenn du mit mir kommen willst, so wirst du im Stande sein, große Reichtümer zu erlangen und Alles wieder zu bekommen, was deinem Vater gehört." - Der Sohn antwortete ihm, dass er nicht reisen dürfe, indem er seinem Vater einen Eid geleistet habe, nie aus dem Lande zu gehen. - Trotz dem Allen hörte der Kapitän aber nicht auf, ihn täglich zu überreden, so dass er ihm zuletzt das Wort gab, mit ihm reisen zu wollen.

Darauf ging er zu den gelehrten Rabbinern seiner Zeit, um zu sehen, ob sie ihn seines Eides entbänden. Diese rieten ihm aber, nicht das Land zu verlassen. Seine gier nach Reichtümern war jedoch so groß, dass er durchaus nicht auf ihre Ratschläge achtete, sich endlich entschloss und mit dem Kapitän abreiste.
Als sie nun mitten auf der See waren, ging das Schiff entzwei, alle Waren fielen ins Wasser und die ganze Mannschaft ertrank, der junge Mann ausgenommen, der sich auf eine Planke rettete. Das Wasser warf ihn von einer Stelle auf die andere, bis er ihn endlich an das Ufer schleuderte. Hier war er aber in Gefahr, zu verhungern, da er nichts zu essen fand, als das Gras auf dem Felde, und nichts zu trinken, als fließendes Wasser.
Eines Tages näherte sich ihm ein außerordentlich großer Adler und setzte sich vor ihm nieder. - Der Jüngling, der ganz an seinem Leben verzweifelte, und nicht wusste, wo er war, besann sich wenig und bestieg den Adler, der mit ihm davon flog und ihn in einem bewohnten Lande niedersetzte, wo er ihn verließ. Da er sah, dass er in einem bewohnten Lande war, so freute er sich sehr, und fragte sogleich, wo der Oberrabbiner wohnte. Alle Leute aber, die zugegen waren, verspotteten und verwünschten ihn, und sagten, er müsse sterben, weil er den seinem Vater geleisteten Eid gebrochen habe. Als er das hörte, war er sehr verwundert darüber, dass sie es wussten; er ging aber nach dem Hause ihres Häuptlings, welcher ihm befahl, in seinem Hause zu bleiben, bis ihm sein Recht widerfahre, weil alle Bewohner diese Landes Mazikin wären, und ihn umbringen wollten, da er den Tod, des gebrochenen Eides halber, verdiene. "Deshalb", schloss er, "wenn sie dich verurteilen und dich zur Hinrichtung führen wollen, so schreie laut und sage: Ich rufe um Gerechtigkeit zu Gott und dem Könige. Der König wird dann das Äußerste tun, dich aus ihren Händen zu befreien und du wirst am Leben bleiben."

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