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Die
gebrochenen Eide
Rabbinisches Märchen, Seite 2 ( von 5 )
Demzufolge nun fanden sie ihn schuldig, als er vor ihrem Senat, ihrem
Fürsten und Großen verhört wurde, und verurteilten ihn zum Tode
nach dem göttlichen Gesetz. Und als sie ihn hinausführten, hob er
seine Finger auf vor Gott und vor des Königs Majestät.
Als sie das hörten, brachte sie ihn zum Könige, der ihn verhörte
und ihm sagte, dem Rechte nach verdiene er den Tod. Aber dann fragte der
König ihn, ob er Moses Gesetz studiert habe oder kenne, oder den Talmud
und die verschiedenen großen Schriftsteller, und sah, dass er sehr
gelehrt sei und ein großer Rabbi, und es quälte ihn sehr, dass er
ihn töten lassen solle. Der König bat daher, sie möchten die
Hinrichtung bis auf den folgenden Tag verschieben, weil er die Sache in
näherer Betrachtung ziehen wolle. - Als sie das hörten, wurden sie
Alle ruhig und gingen fort.
Am folgenden Tage kamen die Senatoren, Statthalter, Häuptlinge und alles
Volk in der Stadt zusammen, um des Königs Urteilsspruch zu hören und
die Hinrichtung des Mannes zu sehen, was, wie sie meinten, ein sehr
merkwürdiger Anblick für sie sein würde.
Während sie nun sämtlich versammelt waren, ließ der König,
ehe er aus dem Palaste ging, um das Urteil zu sprechen, den Mann rufen und
fragte ihn, ob er bei ihm bleiben und seinen Kindern das, was er wisse, lehren
wolle; in diesem Falle solle das Äußerste geschehen, um ihn zu
retten. - Er antwortete, er sei dazu bereit. - Der König ging darauf aus
dem Palast, setzte sich auf seinen Richterstuhl, berief alle Häuptlinge
und alles Volk und sprach Folgendes zu ihnen:
"Es ist wahr, dass ihr diesem Manne den Tod, den er verdient, zugesprochen
habt, aber keine Regel ohne Ausnahme; ich glaube nicht, dass seine Zeit
gekommen ist, denn wäre es Gottes Wille, dass er sterben sollte, so
wäre er mit der ganzen übrigen Mannschaft am Bord des Schiffes
gestorben, und nicht, wie jetzt, davon gekommen. - War es wiederum Gottes
Wille, dass er sterben sollte, so würde er nicht das Land erreicht, und
ein Adler würde ihn nicht hierher zu uns getragen haben, auf gleiche Weise
hat ihn Gott von euch befreit, denn ihr hättet ihn auch erschlagen
können. So ist er aus mannigfachen und großen Gefahren errettet
worden, und deshalb erscheint es mit richtig, dass er am Leben bleibe; was nun
die Sünde des gebrochenen Eids betrifft, so ist das zwischen ihm und Gott,
der ihn dereinst dafür bestrafen wird. Er soll deshalb von uns
freigesprochen werden, und ich befehle, dass ihn Niemand berühre, oder ihm
Böses tue; wer ihn beunruhigt, der soll sterben." Als sie diese Worte
des Königs gehört hatten, erklärten sie sich Alle mit der
Entscheidung einverstanden und der Mann blieb im Hause des Königs und
unterrichtete dessen Kinder. - Er brachte drei Jahre in dem Palaste zu,
hochgeehrt von Jedermann und von dem Könige, seiner Talente und seines
Wissens wegen, sehr geschätzt. Nun trug es sich zu, dass der König
genötigt war, an der Spitze eines Heeres auszuziehen, um eine Provinz, die
sich empört hatte, zu bekämpfen. Als er im Begriffe stand,
abzureisen, rief er den Mann, gab ihm alle Schlüssel zu seinen
Palästen und Schatzkammern und sagte zu ihm: "Du kannst Alles
beschauen, was in dem Lande und in den Palästen ist; hier hast du aber den
goldenen Schlüssel eines Palastes, diesen hüte dich zu öffnen,
denn ich werde dich an demselben Tage, an welchem du es tust, erschlagen."
Darauf befahl er dem Volke, ihn zu ehren und ihm zu folgen, nahm Abschied von
ihm und reiste ab.
Als der König fort war, öffnete und untersuchte er alle Paläste
und alle Merkwürdigkeiten, die so beschaffen waren, dass er dergleichen in
seinem Leben noch nicht gesehen hatte, und die größten
Reichtümer in der Welt betrachtete er; kurz, er sah Berge auf Berge von
den größten diamanten, und viele andere höchst wunderbare
Sachen. Als er aber alles gesehen hatte, war er noch nicht zufrieden, und
wollte mehr sehen.
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