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Der Schmaus
der Zwerge
Norwegisches Märchen, Seite 1 ( von 5 )
In Norwegen, nicht weit von Drontheim, lebte ein mächtiger Mann, der mit
jeglichem Gute gesegnet war. Ein Teil des Landes umher gehörte ihm;
zahlreiche Herden grasten auf seinen Weiden und eine große Dienerschaft
schmückte sein Haus. Er hatte eine einzige Tochter, Aslog; der Ruf ihrer
Schönheit war weit umher verbreitet. Die Vornehmsten des Landes bewarben
sich um sie, aber ohne Erfolg, und wer hoffnungsvoll und freudig gekommen war,
ritt traurig und schweigend wieder fort. Ihr Vater, der da glaubte, dass seine
Tochter das nur täte, um eine kluge Wahl zu treffen, mischte sich nicht
darein, und freute sich über ihre Einsicht. - Als aber zuletzt die
Edelsten und Reichsten umsonst ihr Glück bei ihr versucht hatten, so gut
wie die Übrigen, wurde er böse und sagte zu ihr:
"Bis jetzt habe ich dir freie Wahl gelassen; da ich aber sehe, dass du,
ohne Unterschied, Alle abweist, und die besten Freier dir nicht gut genug
erscheinen, so will ich mir das nicht länger gefallen lassen. Soll mein
Geschlecht aussterben und mein Besitztum Fremden zufallen? Ich will deinen
halsstarrigen Sinn beugen. - Ich gebe dir Zeit bis zum Feste der großen
Winternacht; wähle bis dahin, oder mache dich gefasst, den zu nehmen, den
ich für dich bestimme."
Aslog liebte einen hübschen, tapfern und edeln Jüngling, Namens Orm.
Sie liebte ihn von ganzer Seele, und wollte lieber sterben, als ihre Hand einem
Andern geben. - Aber Orm war arm, und Armut zwang ihn, im Hause ihres Vaters zu
dienen. - Aslo's Neigung zu ihm wurde geheim gehalten, denn ihr stolzer Vater
würde nie seine Einwilligung zu einer Verbindung mit einem so
untergeordneten Manne gegeben haben.
Als Aslog sein finsteres Gesicht sah und seine bösen Worte hörte,
wurde sie bleich wie der Tod, denn sie kannte seine Gemütsart und wusste
wohl, dass er der Mann dazu war, seine Drohungen auszuführen. Ohne ein
Wort zu erwidern, zog sie sich in ihr einsames Kämmerlein zurück und
dachte darüber nach, wie sie dem dunklen Ungewitter, das über ihrem
Haupte drohend hing, entgehen könne. Der große Festtag kam immer
näher und ihre Angst nahm immer mehr zu.
Zuletzt entschlossen sich die Liebenden, zu fliehen. -
Ich weiß einen sicheren Ort, sagte Orm, wo wir unentdeckt bleiben
können, bis wir Gelegenheit finden, das Land zu verlassen. - In der Nacht,
als Alles schlief, führte Orm die zitternde Aslog über Schnee und
Eisfelder den Bergen zu. - Der Mond und die Sterne, die in der kalten
Winternacht immer heller scheinen, leuchteten ihnen. - Sie hatten einige
Kleider und Felle mitgenommen, das war Alles, was sie tragen konnten. - Die
ganze Nacht durch stiegen sie auf den Bergen umher, bis sie einen einsamen von
Felsen umgebenen Platz erreichten. Hier geleitete Orm die ermüdete Aslog
in eine Höhle, deren dunkler und enger Eingang kaum sichtbar war; er
erweiterte sich aber bald zu einer großen Halle, die tief in den Berg
hinein ging. Orm zündete ein Feuer an, und so sahen sie bei demselben, auf
den Felsen ausruhend, in tiefer Abgeschiedenheit von aller Welt.
Orm war der Erste, der diese Höhle entdeckt hat, die noch heutigen Tages
gezeigt wird, und da sonst Niemand etwas davon wusste, so waren sie sicher vor
den Verfolgungen des Vaters der Aslog. Sie brachten den ganzen Winter hier zu.
- Orm pflegte auf die Jagd zu gehen und Aslog blieb in der Höhle, gab Acht
auf das Feuer und bereitete die nötige Nahrung. - Oft bestieg sie die
spitzen der Felsen, aber so weit ihr Auge sehen konnte, erblickte es
schimmernde Schneefelder. Der Frühling kam, die Wälder wurden
grün, die Wiesen kleideten sich in bunte Farben, und Aslog konnte jetzt
nur selten mit großer Vorsicht die Höhle verlassen.
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