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Das
Ziegengesicht
Neapolitanisches Märchen, Seite 1 ( von 4 )
Ein Bauer hatte zwölf Töchter, keine war einen Kopf höher als
die andere; denn jedes Jahr schenkte die gute Frau Ceccuzza ihrem Manne ein
Töchterlein, so dass der arme Schelm, um sie ehrlich durchzubringen, jeden
Morgen hinging und den ganzen Tag hindurch grub, so dass man nicht füglich
sagen könnte, ob ihm mehr Schweiß von der Stirn rann, oder er mehr
in die Hand spie. - Kurz, er bewahrte seine kleine Herde durch den Ertrag
dieser Arbeit vor dem Hungertode.
Er grub eines Tages am Fuß eines Berges, der der Luginsland der anderen
Berge war, so hoch streckte er sein Haupt in die Wolken, um zu sehen, was im
Himmel vorging, und zwar nahe bei einer Höhle in diesem Berge, die so
dunkel war, dass die Sonne sich fürchtete hineinzugehen. Aus dieser
Höhle kam eine grüne Eidechse, so dick wie ein Krokodil und der arme
Bauer erschrak so sehr, das er nicht die Kraft hatte, vom Flecke zu gehen,
indem er fürchtete, von dem hässlichen Tiere verschlungen zu werden.
Aber die Eidechse richtete sich auf und sagte. "Fürchte dich nicht,
guter Mann, denn ich will Dir nichts zu Leide sondern etwas zu Gute tun."
Als Masaniello, so hieß der Bauer, das hörte, fiel er auf die Knie
und sagte: "Madam Ungenannt, ich bin gänzlich in ihrer Macht; handeln
sie wie eine vortreffliche Person, und haben sie Mitleiden mit diesem Stamm,
der zwölf Äste zu erhalten hat." - "Eben deswegen, sagte
die Eidechse, bin ich geneigt Euch zu helfen, darum bringt mir Morgen früh
Eure jüngste Tochter, ich will sie erziehen wie mein eigenes Kind und so
lieb haben, wie mein Leben."
Als der arme Vater diese hörte, wurde er bestürzter als ein Dieb, bei
dem man das gestohlene Gut findet. Denn da die Eidechse nach einer von seinen
Töchtern und zwar nach der jüngsten und zartesten fragte, so schloss
er, dass auf dem Kleide keine Wolle sei, und dass sie wohl nur einen Mund voll
haben wolle, um ihren Appetit zu beschwichtigen, er sagte daher zu sich selbst:
"Gebe ich ihr meine Tochter, so gebe ich ihr meine Seele; schlage ich sie
ihr ab, so nimmt sie meinen eignen Körper; überlasse ich sie ihr, so
verliere ich meine eignen Eingeweide; weigere ich mich, so saugt sie mir das
Blut aus; willige ich ein, so gebe ich ihr einen Teil von mir; tue ich es
nicht, so nimmt sie das Ganze. - Was soll ich tun? Welchen Plan fassen? Welchen
Weg einschlagen? Das war ein schlechtes Tagewerk! Welches Unglück ist vom
Himmel auf mich herabgefallen!
Während er so sprach, sagte die Eidechse zu ihm: "Entschließe
Dich schnell, und tue was ich Dir gesagt habe, oder Du wirst deine Gebeine hier
lassen, so will ich's haben, und so soll es sein." - Als Masaniello dies
Urteil hörte und nirgends zu appellieren wusste, so ging er ganz
melancholisch nach Hause und so gelb im Gesicht als wenn er die Gelbsucht
hätte. Als Ceccuzza ihn so bleich, verfallen und elend sah, fragte sie
ihn: "Was ist Dir wiederfahren, Mann? Hast Du mit Jemanden Streit gehabt?
Ist eine Pfändung im Werke gegen Dich? Oder ist der Esel gestorben?"
"Nichts von dem Allen, erwiderte Masaniello, aber eine gehörnte
Eidechse hat mir solchen Schreck eingejagt; denn sie hat mir gedroht, dass sie
mir den Gar ausmachen würde, wenn ich ihr nicht meine jüngste Tochter
brächte. Mein Kopf dreht sich wie ein Kreisel. Ich weiß nicht,
welchen Fisch ich nehmen soll, auf der einen Seite treibt mich die Liebe, auf
der andern Seite die Sorge für die Meinigen. Ich habe Renzolla sehr lieb,
aber mein eigens Leben auch. Gebe ich ihr nicht die Frucht meiner Lenden, so
nimmt sie die ganze Masse dieses unglücklichen Körpers. Darum rate
mir, teure Ceccuzza, oder ich bin verloren." - Als die Frau das
hörte, sagte sie: "Wer weiß, diese Eidechse macht vielleicht
allem unsern Unglück ein Ende.
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