|
|
Fürchten
lernen
Märchen von Johann Wilhelm Wolf, Seite 1 ( von 4 )
In einem Dorf war ein Mann, der war nur ein Bauer, aber Geld hatte er genug und
einen einzigen Buben dazu. Auf den hielt er große Stücke und dachte,
er wolle ihn was Rechtes lernen lassen für sein Geld, damit er einen
gelehrten Sohn an ihm bekäme. Also ging er zum Schulmeister und ward einig
mit ihm über das Lehrgeld, dass der Peter außer der
gewöhnlichen Schule noch alle Tage seine Extra-Stunden haben und selber
auf den Schulmeister studieren sollte.
Von Stund an saß der Junge vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein
in dem Schulhaus und alle Samstag bekam er ein Zeugnis mit nach Hause, wie viel
er's schon weiter gebracht hätte, also dass der Alte ganz zufrieden damit
war. Auf einen Abend aber schickte ihn der Bauer noch hinaus auf den Acker, ein
Bündel Klee holen, das aus Versehen war liegen geblieben. Als nun der
Junge draußen das Bündel aufheben wollte, war es ihm zu schwer und
sah er sich um, ob Keiner da wäre, der ihm dazu helfen wollte. Mir einem
Male stand ein dunkler Mann neben ihm, hob ihm das Bündel auf den Kopf und
frug dabei - es war schon recht dunkel - ob er sich denn nicht fürchte, so
allein auf dem Feld? "Fürchten?" - der Peter hatte noch nichts
davon gehört und wusste nicht was es heißen sollte, also gab er dem
Mann keine Antwort und ging ruhig heim. Bei dem Alten erzählte er aber die
Geschichte und frug ihn, was denn der Mann wohl damit habe sagen wollen?
"Weißt du denn nicht, was Fürchten ist?" sprach der Bauer.
"Nein", sagte der Peter, da schlug der Alte die Hände über
dem Kopf zusammen und rief: "Der Schulmeister muss mir mein Geld
wiedergeben! Schon ein Jahr' geht der Bube zu ihm und weiß noch nicht was
Fürchten ist!"
Des andern Morgens in aller Früh kam er mit seinem Peter an der Hand ins
Schulhaus und "wenn ihr ihn bis morgen nicht gelehrt habt was
Fürchten heißt" sprach er zum Schulmeister, so müsst ihr
mir mein Geld wiedergeben!" "Gebt euch zufrieden" sprach der
Lehrer, "bis morgen früh soll er's aus dem Fundament verstehn."
Da es nun gegen die Nacht ging, führte er den Peter in die Kirche und
schloss das große Tor hinter ihm zu. Da drinnen konnte einer das
Fürchten freilich lernen wenn er gesund wieder davon kam, denn es war von
Alters her nicht richtig in der Kirche. Der Peter nun stieg wohlgemut auf die
Emporebühne, legte sein Wams unter den Kopf und fing an zu schlafen - aber
nicht lange; denn auf einmal fing es in der alten Kirche zu krachen, zu tappen
und zu rumpeln an, als wenn alle Kirchenstühle wären lebendig
geworden, dann stiegen drei schwarze Männer hinter dem Altar hervor und
kamen hinauf auf die Emporebühne zum Peter. Der Junge hob sich auf den
Ellenbogen in die Höhe und war neugierig, was die drei Kerls denn
eigentlich wollten - da stellten sie ein Kegelspiel hin, fingen an zu schieben,
und Einer rief: "Junger Knabe setz uns die Kegel auf!"
"Meinetwegen!" sprach der Peter, stand auf und tat wie ihm
geheißen, als aber die Dreie alle ihre Kugeln hinuntergeschoben hatten,
rief er: "Wer aufsetzt darf auch kegeln, jetzt bin ich an der
Reihen!" Dabei nahm er die Kugeln und warf eine nach der andern hinauf,
den Männer zwischen die Beine, dann erwischte er die Kegel und fing an,
sie den Geistern auf die Köpfe zu schleudern, zuerst den König, dann
die andern. Sie warteten aber den neunten nicht ab, sondern machten sich aus
dem Staub, und nun konnte der Peter ruhig weiter schlafen, bis der helle Morgen
zum Kirchenfenster hereinschien.
Da kam dann auch der Schulmeister um den Tag anzuläuten und war ganz
begierig, nachzusehen, ob denn dem Jungen das Genick nicht abgedreht sei. Der
Peter aber gähnte ihn recht faul und verdrießlich an, und als ihn
der Lehrer frug: ob er jetzt wisse was es mit dem Fürchten zu bedeuten
habe?
|
|
|