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Sonnenkind
Märchen von Paula Dehmel, Seite 2 ( von 3 )
Ihr könnt euch gar nicht denken, wie herrlich das war! Sonnenkind aber
winkte wieder mit den Zweigen; da senkten die Schmetterlinge wie zum Gruß
ihre Fühlerchen und flogen weithin über das Feld.
Sonnenkind aber streckte die Nusszweige wieder aus und sang:
Ihr Elfenseelchen,
ihr Sonnenstrählchen,
kommt, ich will mit euch spielen!
Da fielen wohl hundert kleiner goldner Strahlen auf die Nussblätter;
Sonnenkind ordnete sie und spielte mit ihnen Fangball. Er warf sie so seltsam
geschickt in die Höhe und nach den Seiten, dass es wie lauter Blitze um
uns zuckte, und dass ich vor Helligkeit gar nichts daneben erkennen konnte.
Endlich hatte er alle in der Hand und fing an, mit den goldnen Dingern zu
bauen. Wunderliche Türme wuchsen hoch, Brücken, unter denen das
Wasser glänzte, goldne Gärten mit Springbrunnen und blühenden
Blumen. Ich war wie verzaubert, fasste Sonnenkind um den Hals und küsste
ihn. Er aber warf die Sonnenstrahlen wieder in die Luft, wo sie wie
Sprühregen zergingen.
Warte, nun wollen wir Greifen spielen", sagte er und gab mir eins der
großen Nussblätter. Da war mir, als hätte ich keine
Füße; ich lief über die Ähren, ohne sie zu treten, ich
konnte auf die Bäume, ohne zu klettern, und jauchzend versuchte ich
Sonnenkind zu fangen; der aber war schneller als ich; immer, wenn ich dachte,
ich hätte ihn, war er wieder weg und lachte mich mit seinen blauen Augen
auffordernd an. Endlich, ich glaube, er hat sich mit Willen fangen lassen,
hielt ich ihn fest. Atemlos und lachend setzten wir uns auf einen Stein, legten
die Hände um unsere Schultern und ruhten uns aus. Um uns blühten
Kornblumen und wilder Mohn; ich machte einen Kranz für Sonnenkind und
freute mich, wie schön der zu seinem blonden Haar stimmte.
"Wollen wir zum Schluss noch eine Eisenbahnfahrt machen?" fragte er,
und als ich nickte, sang er:
Spinnlein spinnt
wie der Wind
eine Bahn für Sonnenkind
Da kamen hundert große Spinnen angekrochen, und ehe ich's begreifen
konnte, waren kleine Geleise in der Luft gesponnen und eine niedliche
Lokomotive aus Nussschalen kam angesaust. "Fürchte dich nicht,"
lachte Sonnenkind, "mein Wagen ist sicher," und als er mich mit den
Nussblättern berührte, waren wir klein wie Ameisen, und nun ging's
blitzschnell über Wälder und Seen, über Städte, die wie
Puppenhäuschen unten lagen, in die Welt hinein. Als wir am Mond
vorbeikamen, machte der große Augen und rief:
"Wollt ihr wohl zu Bett, ihr Krabben?" Wir aber ätschten ihn aus
und fuhren weiter, bis ans Meer. Da sahen wir still zu, wie die großen
Wellen kamen, an den Strand liefen und zurückfluteten; immer wieder, immer
wieder, und hörten dem Brausen zu, das von weit her tönte und doch so
nah war.
Als wir nach Hause fuhren, fasste ich Sonnenkind bei der Hand und sagte:
"Willst du nicht bei mir bleiben? Ich habe dich so lieb, lieber als Bruder
Karlmann; komm mit, meine Mutter wird sich auch freuen, du kannst in Karls Bett
schlafen, und wenn wir fertig sind mit arbeiten, spielen wir zusammen."
Sonnenkind streichelte mir die Backen, küsste mich und sagte: "Nein,
kleines Mädchen, so wie ich dich lieb habe, habe ich all die andern Kinder
auch lieb; und wenn sie recht traurig sind, komme ich uns spiele mit ihnen.
Weißt du, wohin ich morgen gehen werde?" "Zu Karlmann,"
rief ich, "Gewiss zu Karlmann." "Ja, das will ich, der arme
Junge!
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