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Die Karawane
Märchen von Wilhelm Hauff, Seite 2 ( von 2 )
"Wen bringt ihr uns da?" rief der junge Kaufmann dem Führer zu.
Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: "Ich
heiße Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf eine Reise nach
Mecca von einer Räuberbande gefangen, und habe mich vor drei Tagen
heimlich aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ
mich die Glocken Eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei
Euch an. Erlaubet mir, dass ich in Eurer Gesellschaft reise, Ihr werdet Euren
Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so Ihr nach Bagdad kommet, werde
ich eure Güte reichlich belohnen, denn ich bin der Neffe des
Großveziers." Der älteste der Kaufleute nahm das Wort:
"Selim Baruch," sprach er, "Sei willkommen in unserem Schatten.
Es macht uns Freude, Dir beizustehen, vor Allem aber setze dich und iss und
trinke mit uns."
Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen.
Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange
Pfeifen und türkisches Sorbet. Die Kaufleute saßen lange schweigend,
indem sie bläuliche Rauchwolken vor sich hin bliesen und zusahen, wie sie
sich ringelten und verzogen und endlich in die Luft verschwebten. Der junge
Kaufmann brach endlich das Stillschweigen. "So sitzen wir seit drei
Tagen," sprach er, "zu Pferd und bei Tisch, ohne uns durch Etwas die
Zeit zu vertreiben. Ich verspüre gewaltige Langeweile, denn ich bin
gewohnt, nach Tisch Tänzer zu sehen oder Gesang und Musik zu hören.
Wisst ihr gar nichts, meine Freunde, das uns die Zeit vertreibe?" Die vier
älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft nachzusinnen, der
Fremde aber sprach: "Wenn es mir erlaubt ist, will ich Euch einen
Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz könnte Einer von und den
Andern etwas erzählen. Dies könnte uns schon die Zeit
vertreiben." "Selim Baruch, Du hast wahrgesprochen," sagte
Achmet, der älteste der Kaufleute; "lasst uns den Vorschlag
annehmen." "Es freut mich, wenn Euch der Vorschlag behagt,"
sprach Selim, "Damit Ihr aber seht, dass ich nichts Unbilliges verlange,
so will ich den Anfang machen."
Vergnügt rückten die Kaufleute näher zusammen und ließen
den Fremden in ihre Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder voll,
stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende Kohlen zum
Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem tüchtigen Zuge
Sorbet, strich den langen Bart über den Mund weg und sprach: "So
hört denn die Geschichte von Kalif Storch."
Die Geschichte von Kalif
Storch
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