|
Die
Königskinder
Märchen von Ludwig Bechstein, Seite 1 ( von 3 )
In einem Walde stand ein kleines, einsames Häuschen, darinnen eine Mutter
mit ihrer Tochter, welche letztere schon ziemlich erwachsen war, wohnte. Die
Alte war ein sehr böses und listiges Weib, sie trieb allerlei
geheimnisvolle Dinge. Ihr Ansehen erregte bei fremden Menschen, die sie sahen,
Schauder und Furcht. Sie war von Gesicht über alle Maßen
hässlich, ihre Augen waren rot wie Feuer, und blitzten unstät und
unheimlich, um den Kopf trug sie stets ein schwarzes Tuch, über welchem
die starren grauen Haare nieder hingen. Im Sommer war ihr gebräunter
Nacken, Brust und Arme unbedeckt, ein schwarzes Mieder mit großen
Knöpfen umschloss den vorgebeugten Leib; ein roter Rock stach sehr grell
ab von den nackten dunkelbraunen Beinen und dem schneeweißen Sack, den
sie an der Achsel hängen hatte. Doch das unheimlichste war noch ein Ring,
den sie am Zeigefinger der rechten Hand trug, der war von Gold und mit roten
Flammensteinen besetzt; er glänzte, dass er die Augen verblendete. So
schlich die böse Alte stets im Walde umher. Sah sie einen Wanderer, oder
einen Reisewagen, so drang sie sich den Leuten auf, sagte ihnen wahr, gar
wunderliche Dinge, und bettelte dabei. Und fand sie Kinder im Walde, so lockte
sie diese in ihre Wohnung und schlachtete sie. Dagegen war ihre Tochter ein gar
gutherziges Mädchen, das oft im Stillen über die bösen Taten der
Mutter bitterlich weinte und den lieben Gott bat, ihr doch von der argen Mutter
zu helfen. Doch diese hatte, so schien es, das ewige Leben, sie wurde nie
krank, und obgleich ihre Glieder alt und steif und ganz abgezehrt waren, so
besaß sie doch eine Kraft wie der stärkste Mann. Dies alles hatte
sie nur ihrem Zauberring zu danken, und noch viel mehr, denn die Hand an
welchem sie den Reif trug, war immer unsichtbar, daher sie, wo sie nur einen
fremden Menschen draußen im Walde ansprach, allemal zugleich in dessen
Tasche griff, die Börsen, uns was sie drinnen fand herauszog, ohne dass es
derselbige im Geringsten merkte. Auch machten die roten Flammenstrahlen der
Ringsteine die Tiere stille stehend, wo sie derselben in die Augen blickten, da
mussten die Tiere starr in die Strahlen sehen, bis die Alte den Ring am Finger
drehte. So schlich sie denn oft im Walde herum, trug einen großen Topf,
ließ die Ringsteine in die Augen der Hirsche blinken, dass sie still
stehen mussten, und molk sie dann.
Einmal des Abends saß sie daheim bei ihrer Tochter und trank auch solche
Hirschkuh-Milch, als es an ihr Fensterlein klopfte; und als sie darauf hinaus
sah, standen zwei bildschöne und köstlich gekleidete Kinderchen
draußen und weinten, und das größte, ein Knäblein sprach:
"Ach wir haben uns verirrt, und nun wird es Nacht, alt' Mütterchen,
sei so gut und lass uns diese Nacht in deinem Häuschen schlafen, morgen
wollen wir suchen, unsere Heimat wieder zu finden." Die Alte grinste vor
trefflicher Freude, machte schnell die Haustür auf und ließ die
Kinderchen ein. Aber sie ging gleich sehr böse mit ihnen um, sie zog ihnen
ihre schönen Kleider aus, so dass sie ganz nackend waren, und steckte sie
in einen finsteren Stall. Dann nahm sie einen alten Tiegel, goss Milch darein,
setzte ihn hin vor die Kinder und sprach: "Hier esst die Milch, dass ihr
bald fett werdet, dass ich euch schlachten kann, ihr seid doch nichts
nütze auf der Welt, ihr Bälger."
Ach, wie sehr weinten die armen Kinder! Sie konnten vor Kummer nichts essen;
doch überfiel sie bald ein Schlaf, der sie ihrem Herzleid entrückte.
Sie träumten, dass sie daheim wären bei der lieben Mutter und dem
Vater und dass sie gar schön spielten. Aber wie sie erwachten und ihre
traurige Lage wieder gewahr wurden, fingen sie von Neuem an zu weinen und zu
klagen. Endlich hörten sie die Stalltüre aufgehen, es kam Jemand, und
sie fürchteten sich sehr und meinten, jede Minute geholt und geschlachtet
zu werden.
|
|