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Die
Störche
Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 3 ( von 3 )
"Aber sollen wir denn uns nicht an den unartigen Buben rächen?"
fragten die jungen Störche.
"Lasst sie schreien, so viel sie wollen! Ihr fliegt doch zu den Wolken auf
und kommt nach den Landen der Pyramiden, wenn sie frieren müssen und kein
grünes Blatt und keine süßen Äpfel haben!"
"Ja, Rache wollen wir nehmen!" zischelten sie einander zu, und dann
wurde wieder geübt.
Von allen Knaben auf der Straße war keiner ärger, das Spottlied zu
singen, als gerade der, welcher damit angefangen hatte, und das war ein ganz
kleiner, er war wohl nicht mehr als sechs Jahre alt. Die jungen Störche
glaubten freilich, dass er hundert Jahre zähle, denn er war ja viel
größer als ihre Mutter und ihr Vater, und was wussten sie davon, wie
alt Kinder und große Menschen sein können! Ihre ganze Rache sollten
diesen Knaben treffen, er hatte ja zuerst begonnen, und er blieb auch immer
dabei; die jungen Störche waren sehr aufgebracht, und wie sie
größer wurden, wollten sie es noch weniger dulden; die Mutter musste
ihnen zuletzt versprechen, dass sie schon gerecht werden sollten, aber nicht
eher als am letzten Tage, wo sie dort im Lande seien.
"Wir müssen ja erst sehen, wie ihr euch bei der großen
Übung benehmen werdet; besteht ihr schlecht, so dass der Oberst euch den
Schnabel durch die Brust rennt, dann haben ja die Knaben Recht, wenigstens in
einer Hinsicht. Nun lasst uns sehen!"
"Ja, das sollst du!" sagten die Jungen, und so gaben sie sich alle
Mühe; sie übten jeden Tag und flogen so niedlich und leicht, dass es
eine Lust war zuzusehen.
Nun kam der Herbst; alle Störche begannen sich zu sammeln, um fort nach
den warmen Ländern zu ziehen, während wir Winter haben. Das war ein
Leben! Über Wälder und Dörfer mussten sie, nur um zu sehen, wie
sie fliegen könnten, denn es war ja eine große Reise, die ihnen
bevorstand. Die jungen Störche machten ihre Sache so brav, dass sie
"Ausgezeichnet gut mit Frosch und Schlange" erhielten. Das war das
allerbeste Zeugnis, und den Frosch und die Schlange konnten sie essen; das
taten sie auch.
"Nun wollen wir Rache haben!" sagten sie.
"Ja gewiss!" sagte die Storchmutter. "Was ich mir ausgedacht,
ist gerade das Richtige! Ich weiß, wo der Teich ist, in welchem alle die
kleinen Menschenkinder liegen, bis der Storch kommt und sie den Eltern bringt.
Die niedlichen kleinen Kinder schlafen und träumen so lieblich, wie sie
später nie mehr träumen. Alle Eltern wollen gern solch ein kleines
Kind haben, und alle Kinder wollen eine Schwester oder einen Bruder haben. Nun
wollen wir nach dem Teiche hinfliegen, eins für jedes der Kinder zu holen,
welche nicht das böse Lied gesungen und die Störche zum Besten
gehabt!"
"Aber der, welcher zu singen angefangen, der schlimme, hässliche
Knabe", schrieen die jungen Störche, "was machen wir mit
ihm?"
"Da liegt im Teiche ein kleines totes Kind, das hat sich tot
geträumt, das wollen wir für ihn nehmen, dann muss er weinen, weil
wir ihm einen toten kleinen Bruder gebracht haben; aber dem guten Knaben - ihn
habt ihr doch nicht vergessen, ihn, der da sagte, es sei Sünde, die Tiere
zum Besten zu haben? - ihm wollen wir sowohl einen Bruder als eine Schwester
bringen, und da der Knabe Peter hieß, so sollt ihr allesamt Peter
heißen!"
Und es geschah, wie sie sagte, und so hießen alle Störche Peter, und
so werden sie noch genannt.
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