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Die
Störche
Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 2 ( von 3 )
"Hört auf mich und nicht auf sie", sagte die Storchenmutter.
"Nach der großen Herbstübung fliegen wir in die warmen
Länder, weit, weit von hier, über die Berge und Wälder. Nach
Ägypten fliegen wir, wo es dreieckige Steinhäuser gibt, die in einer
Spitze auslaufen und, bis über die Wolken ragen; sie werden Pyramiden
genannt und sind älter, als ein Storch sich denken kann. Da ist auch ein
Fluss, welcher aus seinem Bette tritt, dann wird das ganze Land zu Schlamm. Man
geht im Schlamm und isst Frösche."
"O!" sagten alle Jungen.
"Ja, da ist es herrlich! Man tut den ganzen Tag nichts Anderes als essen,
und während wir es so gut haben, ist in diesem Lande nicht ein grünes
Blatt auf den Bäumen, hier ist es so kalt, dass die Wolken in Stücke
frieren und in kleinen weißen Lappen herunterfallen!" Das war
Schnee, den sie meinte, aber sie konnte es nicht deutlicher erklären.
"Frieren denn auch dir unartigen Knaben in Stücke?" fragten die
jungen Störche.
"Nein, in Stücke frieren sie nicht, aber sie sind nahe daran und
müssen in der dunklen Stube sitzen und duckmäusern; ihr hingegen
könnt in fremden Ländern umherfliegen, wo es Blumen und warmen
Sonnenschein gibt!"
Nun war schon einige Zeit verstrichen, und die Jungen waren so groß
geworden, dass sie im Neste aufrecht stehen und weit umher sehen konnten, und
der Storchvater kam jeden Tag mit schönen Fröschen, kleinen Schlangen
und all den Storchleckereien, die er finden konnte, geflogen. O, das sah lustig
aus, wie er ihnen Kunststücke vormachte! Den Kopf legte er gerade herum
auf den Schwanz, mit dem Schnabel klapperte er, als wäre er eine kleine
Knarre, und dann erzählte er ihnen Geschichten, alle zusammen vom Sumpfe.
"Hört, nun müsst ihr fliegen lernen!" sagte eines Tages die
Storchmutter, und nun mussten alle vier Jungen hinaus auf den Dachrücken.
O, wie sie schwankten, wie sie mit den Flügeln sich im Gleichgewicht
hielten, und doch nahe daran waren, hinunter zu fallen!
"Seht nun auf mich!" sagte die Mutter. "So müsst ihr den
Kopf halten, so müsst ihr die Füße stellen! Eins, zwei! Eins,
zwei! Das ist es, was euch in der Welt forthelfen soll!" Dann flog sie ein
kleines Stück, und die Jungen machten einen kleinen unbeholfenen Sprung.
Bums! da lagen sie, denn ihr Körper war zu schwerfällig.
"Ich will nicht fliegen!" sagte das eine Junge und kroch wieder in
das Nest hinauf. "Mir ist nichts daran gelegen, nach den warmen
Ländern zu kommen!"
"Willst du denn hier erfrieren, wenn es Winter wird? Sollen die Knaben
kommen, dich zu hängen, zu sengen und zu braten? Nun, ich werde sie
rufen!"
"O nein!" sagte der junge Storch und hüpfte wieder auf das Dach
wie die andern. Den dritten Tag konnten sie schon ordentlich ein bisschen
fliegen, und da glaubten sie, dass sie auch schweben und in der Luft ruhen
könnten, das wollten sie, aber bums! da purzelten sie, darum mussten sie
schnell die Flügel wieder rühren. Nun kamen die Knaben unten auf der
Straße und sangen ihr Lied:
"Storch, Storch, fliege heim!"
"Wollen wir nicht hinunterfliegen und ihnen die Augen aushacken?"
sagten die Jungen.
"Nein, lasst das!" sagte die Mutter. "Hört nun auf mich,
das ist weit wichtiger! Eins, zwei, drei! Nun fliegen wir rechts herum. Eins,
zwei, drei! Nun links um den Schornstein! Seht, das war sehr gut; der letzte
Schlag mit den Flügeln war so niedlich und richtig, dass ihr die Erlaubnis
erhalten sollt, morgen mit mir in den Sumpf zu fliegen. Da werden mehrere
hübsche Storchen Familien mit ihren Kindern sein; zeigt mir nun, dass die
meinen die niedlichsten sind, und dass ihr recht einherstolziert; das sieht gut
aus und verschafft Ansehen!"
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