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Der Rosenelf
Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 3 ( von 3 )
Er wusste ja nicht, welche Augen da geschlossen und welche roten Lippen da zu
Erde geworden waren; sie neigte ihr Haupt gegen den Blumentopf, und der kleine
Elf von der Rose fand sie so schlummern, da setzte er sich in ihr Ohr,
erzählte von dem Abend in der Laube, vom Duft der Rose, und der Elfen
Liebe; sie träumte süß, und während sie träumte,
entschwand das Leben, sie war eines stillen Todes verblichen, sie war bei ihm,
den sie liebte, im Himmel.
Und die Jasminblumen öffneten ihre großen weißen Glocken, sie
dufteten eigentümlich süß, anders konnten sie nicht über
die Tote weinen.
Aber der böse Bruder betrachtete den schön blühenden Strauch,
nahm ihn als ein Erbgut zu sich, und setzte ihn in seine Schlafstube, dicht
beim Bette, denn er war herrlich anzuschauen und der Duft war süß
und lieblich. Der kleine Rosenelf folgte mit, flog von Blume zu Blume, in jeder
wohnte ja eine kleine Seele, und der erzählte er von dem Ermordeten jungen
Mann, dessen Haupt nun Erde unter der Erde war, erzählte von dem
bösen Bruder und der armen Schwester.
"Wir wissen es", sagte eine jede Seele in den Blumen, "wir
wissen es! Sind wir nicht aus des Erschlagenen Augen und Lippen entsprossen?
Wir wissen es; wir wissen es!" Und dann nickten sie sonderbar mit dem
Kopfe.
Der Rosenelf konnte es gar nicht begreifen, wie sie so ruhig sein könnten
und flog hinaus zu den Bienen, die Honig sammelten, erzählte ihnen die
Geschichte von dem bösen Bruder, und die Bienen sagten es ihrer
Königin, welche befahl, dass sie alle am nächsten Morgen den
Mörder umbringen sollten.
Aber in der Nacht vorher, es war die erste Nacht, welche auf den Tod der
Schwester folgte, als der Bruder in seinem Bette dicht neben dem duftenden
Jasminstrauch schlief, öffnete sich ein jeder Blumenkelch, unsichtbar,
aber mit giftigen Spießen, stiegen die Blumenseelen hervor und setzten
sich zuerst in seine Ohren und erzählten ihm böse Träume, flogen
darauf über sein Lippen und stachen sein Zunge mit den giftigen
Spießen. "nun haben wir den Toten gerächt!" sagten sie und
flogen zurück in das Jasmins weiße Glocken. Als es Morgen wurde, und
das Fenster der Schlafstube geöffnet wurde, fuhr der Rosenelf mit der
Bienenkönigin und dem ganzen Bienenvolk herein, um ihn zu töten.
Aber er war schon tot; es standen Leute rings um das Bett, die sagten:
"Der Jasminduft hat ihn getötet!"
Da verstand der Rosenelf der Blumen Rache, und er erzählte es der
Königin der Bienen, und sie summte mit ihrem ganzen Schwarm um den
Blumentopf; die Bienen waren nicht zu verjagen; da nahm ein Mann den Blumentopf
fort und eine der Bienen stach seine Hand, so dass er den topf fallen
ließ nd er zerbrach. Da sahen sie den bleichen Totenschädel, und sie
wussten, dass der Tote im Bette ein Mörder war.
Die Bienenkönigin summte in der Luft und sang von der Rache der Blumen und
von dem Rosenelf, und das hinter dem geringsten Blatte Einer wohnt, der das
Böse erzählen und rächen kann!
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