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Der Rosenelf
Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 2 ( von 3 )
Dann scharrte er mit dem Fuße verdorrte Blätter über die
lockere Erde und ging wieder in der dunklen Nacht nach Hause. Aber er ging
nicht allein, wie er glaubte; der kleine Elf begleitete ihn, er saß in
einem vertrockneten, aufgerollten Lindenblatte, welches dem bösen Mann,
als er grub, in die Haare gefallen war. Der Hut war nun darauf gesetzt, es war
dunkel darin, und der Elf zitterte vor Schreck und Zorn über die schlechte
Tat.
In der Morgenstunde kam der böse Mann nach Hause; er nahm seinen Hut ab
und ging in der Schwester Schlafstube hinein. Da lag das schöne
blühende Mädchen und träumte von ihm, dem sie so gut war und von
dem sie nun glaubte, dass er über Berge und durch Wälder gehe; der
böse Bruder neigte sich über sie und lachte hässlich, wie nur
ein Teufel lachen kann, da fiel das trockne Blatt aus seinem Haare auf die
Bettdecke nieder, aber er bemerkte es nicht und ging hinaus, um in der
Morgenstunde selbst ein wenig zu schlafen. Aber der Elf schlüpfte aus dem
vertrockneten Blatte, setzte sich in das Ohr des schlafenden Mädchens und
erzählte ihr, wie in einem Traum, den schrecklichen Mord, beschrieb ihr
den Ort, wo der Bruder ihn erschlagen und seine Leiche verscharrt hatte,
erzählte von dem blühenden Lindenbaume dicht dabei und sagte:
"Damit du nicht glaubst, dass es nur ein Traum sei, was ich dir
erzählt habe, so wirst du auf deinem Bette ein verdorrtes Blatt
finden!" und das fand sie, als sie erwachte.
O, welch bittere Tränen weinte sie und durfte doch Niemanden ihren Schmerz
anvertrauen! Das Fenster stand den ganzen Tag offen, der kleine Elf konnte
leicht zu den Rosen und all den übrigen Blumen nach dem Garten hinaus
gelangen, aber er wagte es nicht, die Betrübte zu verlassen. Im Fenster
stand ein Strauch mit Monatsrosen, in eine der Blumen setzte er sich und
betrachtete das arme Mädchen. Ihr Bruder kam oft in die Kammer hinein, und
war heiter trotz seiner Schlechtigkeit, aber sie durfte kein Wort über
ihren Herzenskummer sagen.
Sobald es dunkel wurde, schlich sie sich aus dem Hause, ging im Walde nach der
Stelle, wo der Lindenbaum stand, nahm die Blätter von der Erde, grub in
dieselbe hinein und fand ihn sogleich, der erschlagen worden war. O, wie weinte
sie, und bat den lieben Gott, dass er sie auch bald sterben lasse! -
Gern hätte sie die Leiche mit sich nach Hause genommen, aber das konnte
sie nicht, da nahm sie das bleiche Haupt mit den geschlossenen Augen,
küsste den kalten Mund und schüttelte die Erde aus seinem
schönen Haar. "Das will ich behalten!" sagte sie, und als sie
Erde und Blätter auf den toten Körper gelegt hatte, nahm sie den Kopf
und einen kleinen Zweig von dem Jasminstrauch, der im Walde blühte, wo er
begraben war, mit sich nach Hause.
Sobald sie in ihrer Stube war, holte sie sich den größten
Blumentopf, der zu finden war, in diesen legte sie des Toten Kopf,
schüttete Erde darauf und pflanzte dann den Jasminzweig in den Topf.
"Lebewohl! Lebewohl!" flüsterte der kleine Elf, er konnte es
nicht länger ertragen, all diesen Schmerz zu sehen, und flog deshalb
hinaus zu seiner Rose; aber die war abgeblüht, da hingen nur einige
bleiche Blätter an der grünen Hagebutte.
"Ach wie bald ist es doch mit all dem Schönen und Guten vorbei
seufzte der Elf. Zuletzt fand er eine Rose wieder, die wurde sein Haus, hinter
ihren feinen und duftenden Blättern konnte er wohnen.
Jeden Morgen flog er nach dem Fenster des armen Mädchens, und da stand sie
immer bei dem Blumentopf und weinte. Die bitteren Tränen fielen auf den
Jasminzweig, und mit jedem Tage, wie sie bleicher und bleicher wurde, stand der
Zweig frischer und grüner da, ein Sprössling trieb nach dem andern
hervor, kleine weiße Knospen blühten auf, und sie küsste sie,
aber der böse Bruder schalt und fragte, ob sie närrisch geworden sei?
Er konnte es nicht begreifen, weshalb sie immer über den Blumentopf
weinte.
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