|
Der kleine Tuk
Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 1 ( von 3 )
Ja, das war der kleine Tuk, er hieß eigentlich nicht Tuk, aber zu der
Zeit, als er noch nicht richtig sprechen konnte, da nannte er sich selbst Tuk;
das sollte Karl bedeuten, und es ist gut, wenn man das weiß; er sollte
auf seine Schwester Marie Acht geben, die noch viel kleiner war als er, und
dann sollte er auch seine Aufgabe lernen, aber Beides wollte nicht auf einmal
gehen. Der Knabe saß mit seiner kleinen Schwester auf dem Schoß und
sang alle die Lieder, die er wusste und inzwischen schielten die Augen nach dem
Geographiebuche, welches offen vor ihm lag; er sollte bis morgen alle
Städte von Seeland mit ihren Merkwürdigkeiten hersagen können.
Nun kam seine Mutter nach Hause und nahm die kleine Marie; Tuk lief ans Fenster
und las, dass er sich fast die Augen ausgelesen hätte, denn es wurde schon
dunkel, aber die Mutter hatte nicht die Mittel, Licht zu kaufen.
"Da geht die alte Waschfrau drüben aus der Gasse!" sagte die
Mutter, indem sie aus dem Fenster blickte. "Sie kann sich kaum selbst
schleppen und doch muss sie den Eimer vom Brunnen tragen, spring hinaus kleiner
Tuk, sei ein guter Junge und hilf der alten Frau!"
Tuk sprang sogleich hin und half, als er aber wieder zurückkam, war es
ganz finster geworden, und von Licht war keine Rede. Nun sollte er ins Bett,
das war eine alte Schlafbank, in dieser lag er und dachte an seine
Geographieaufgabe und an Alles, was der Lehrer erzählt hatte. Es
hätte freilich gelesen werden müssen, aber das konnte er nun doch
nicht. Das Geographiebuch steckte er unter sein Kopfkissen, denn er hatte
gehört, dass das bedeutend helfe, um seine Aufgabe zu behalten, aber
darauf kann man sich nicht verlassen.
Da lag er nun und dachte, und da war es auf einmal, als wenn ihn Jemand auf
Augen und Mund küsste; er schlief und schlief doch auch nicht, es war
gerade, als ob die alte Waschfrau ihn mit ihren sanften Augen anblickte und zu
ihm sagte. "Es würde eine große Schande sein, wenn du deine
Aufgaben nicht gelernt hättest! du hast mir geholfen, jetzt werde ich dir
helfen, und der liebe Gott wird es immer tun!"
Und mit einem Male krippelte und krappelte das Buch unter dem Kopf des kleinen
Tuk.
"Kikeriki! put put!" das war eine Henne und die kam aus Kjöge.
"Ich bin eins von den Hühnern aus Kjöge!" Und dann sagte
sie, wie viel Einwohner dort seien, und sprach von der Schlacht, die dort
geliefert worden sei, und die war gar nicht der Rede wert. "Krippel,
krappel, bums!" da fiel einer; das war ein hölzerner Vogel, der jetzt
ankam; es war der Papagei vom Vogelschießen in Prästo. Der sagte,
dass dort ebenso viel Einwohner seien, als er Nägel im Leibe habe; und er
war recht stolz: "Thorwaldsen hat bei mir an der Ecke gewohnt. Bums! Ich
liege herrlich!"
Aber der kleine Tuk lachte nicht, er war auf einmal zu Pferde. Im Galopp, im
Galopp ging es. Ein prächtig gekleideter Ritter mit glänzendem Helm
und wallendem Federbusch hatte ihn vor sich auf dem Pferde, und sie ritten
durch den Wald nach der alten Stadt Vordingborg, und dieses war eine
große lebhafte Stadt; hohe Türme prangten auf der Königsburg,
und die Lichter leuchteten weit durch die Fenster hinaus; drinnen war Gesang
und Tanz; König Waldemar und geputzte junge Hoffräulein tanzten
miteinander. - Es wurde Morgen, und sowie die Sonne erschien, sank die Stadt
und das Schloss des Königs zusammen, ein Turm nach dem andern, zuletzt
stand nur noch ein einziger auf dem Hügel, wo das Schloss gestanden hatte,
und die Stadt war klein und arm, und die Schulknaben kamen mit ihren
Büchern unter dem Arm und sagten: "Zweitausend Einwohner", aber
das war nicht wahr, so viel waren da nicht.
|
|