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Der Flachs
Märchen von Hans Christian Andersen, Seite 2 ( von 3 )
"Ei sieh, jetzt ist erst etwas aus mir geworden! Das war also meine
Bestimmung! Das ist ja herrlich; nun schaffe ich Nutzen in der Welt, und das
ist es, was man soll, das ist das wahre Vergnügen. Wir sind zwölf
Stück geworden, aber wir sind doch alle ein und dasselbe, wir sind ein
Dutzend! Was ist das für ein erstaunliches Glück!"
Jahre verstrichen, - und dann konnten sie nicht länger halten.
"Einmal muss es ja doch vorbei sein!" sagte jedes Stück.
"Ich hätte gern noch länger halten mögen, aber man darf
nichts Unmögliches verlangen!" Dann wurden sie in Stücke und
Fetzten zerrissen, so dass sie glaubten, nun sei es ganz vorbei, denn sie
wurden zerhackt und zerquetscht und zerkocht, ja sie wussten selbst nicht, wie
ihnen geschah - und dann wurden sie schönes, feines, weißes Papier!
"Nein, das ist eine Überraschung! Und eine herrliche
Überraschung!" sagte das Papier. "Nun bin ich feiner als zuvor,
und nun werde ich beschrieben werden! Was kann nicht Alles geschrieben werden!
Das ist doch ein außerordentliches Glück!" Es wurden die
allerschönsten Geschichten darauf geschrieben, und die Leute hörten,
was darauf stand, und das war richtig und gut, es machte die Menschen weit
klüger und besser, als sie bisher waren. Es war ein wahrer Segen, der dem
Papier in den Worten gegeben war.
"Das ist mehr als ich mir träumen ließ, als ich noch eine
kleine blaue Blume auf dem Felde war! Wie konnte es mir einfallen, dass ich
dazu gelangen werde, Freude und Kenntnisse unter die Menschen zu bringen! Ich
kann es selbst noch nicht begreifen! Aber es ist nun einmal wirklich so! Der
liebe Gott weiß, dass ich selbst durchaus nichts dazu getan habe, als was
ich nach schwachem Vermögen für mein Dasein tun musste! Und doch
gewährt er mir eine Freude nach der andern; jedes Mal, wenn ich denke:
"Aus ist das Lied!" dann geht es gerade zu etwas Höherem und
Besserem über. Nun werde ich gewiss auf Reisen in der ganzen Welt herum
gesandt werden, damit alle Menschen mich lesen können! Das ist das
Wahrscheinlichste! Früher trug ich blaue Blumen, jetzt habe ich für
jede Blume die schönsten Gedanken! Ich bin der
Allerglücklichste!"
Aber das Papier kam nicht auf Reisen, es kam zum Buchdrucker und da wurde
Alles, was darauf geschrieben stand, zum Druck zu einem Buch gesetzt, ja zu
vielen hundert Büchern, denn so konnten unendlich viele Leute mehr Nutzen
und Freude davon haben, als wenn das einzige Papier, auf dem das Geschriebenen
stand, die ganz Welt durchlaufen hätte und auf dem halben Wege schon
abgenutzt worden wäre.
"Ja, das ist freilich das Allervernünftigste!" dachte das
beschriebene Papier. "Das fiel mit gar nicht ein! Ich bleibe zu Hause und
werde in Ehren gehalten, wie ein alter Großvater! Ich bin es, der
beschrieben worden ist, die Worte flossen aus der Feder gerade in mich hinein.
Ich bleibe und die Bücher laufen herum! Nun kann ordentlich was
ausgerichtet werden! Nein, wie bin ich froh, wie bin ich glücklich!"
Dann wurde das Papier in ein Päckchen gesammelt und in ein Fach gelegt.
"Nach vollbrachter Tat ist gut ruhen!" sagte das Papier. "Es ist
ganz in Ordnung, dass man sich sammelt und über das nachdenkt, was in
Einem wohnt. Jetzt weiß ich erst recht, was in mir enthalten ist! Und
sich selbst kennen, das ist erst der wahre Fortschritt. Was nun wohl kommen
wird? Irgend ein Fortschritt geschieht, es geht immer vorwärts!" -
Eines Tages wurde alles Papier auf den Feuerherd gelegt, denn es sollte
verbrannt und nicht an Höker verkauft werden, die Butter und Zucker darin
einwickelten. Alle Kinder im Hause standen rings herum, sie wollten es
auflodern sehen, sie wollten die vielen roten Feuerfunken in der Asche sehen,
die gleichsam davonlaufen und erlöschen, einer immer nach dem andern, ganz
geschwind - das sind die Kinder, die aus der Schule kommen, und der allerletzte
Funke ist der Schulmeister; oft glaubt man, dass er schon fort ist, aber dann
kommt er auf einmal noch hinterher.
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