|
Geschichte
des Hirten und der Diebe
Tausend und eine Nacht, Gustav Weil, Seite 2 ( von 2 )
Nachdem auf diese Weise alle Mächtigen das Leben verloren hatten, wurde
das gemeine Volk weggejagt, und ein Jeder eilte schnell in seine Wohnung. Der
König überließ sich nun ganz seinem Vergnügen und
vernachlässigte das Heil des Staates und das Wohl seiner Untertanen. Da
aber dieser König wegen seines an Gold, Silber und Edelsteinen so reichen
Landes von allen seinen Nachbarn beneidet wurde, so dachte einer der
benachbarten Sultane, der von der Hinrichtung der Veziere und Gelehrten
hörte: Nun werde ich bald zum Besitze dieses kostbaren Landes gelangen;
dieser junge, unbesonnene König hat Niemanden mehr, auf den er sich
stützen kann, es wird mir leicht werden, sein Land zu erobern. Er
beschloss daher, um seine Stärke zu prüfen, ihm folgenden Brief zu
schreiben: "Im Namen Gottes, des Allmächtigen, Allbarmherzigen! Wir
haben vernommen, dass du die Gelehrten deines Reichs und deine Veziere und
mächtigen Krieger hast umbringen lassen, und dass du überhaupt einen
schlechten und ruchlosen Lebenswandel führst, wodurch uns Gott den Sieg
über dich erleichtert. Du stehst nun unter meinen Befehlen, baue mir daher
einen großen Palast auf der Oberfläche des Wassers mitten im Meere;
kannst du dies nicht, so verlasse diese Land. Ich werde meinen Vezier mit
zwölftausend Regimenten, jedes aus tausend Kriegern zusammengesetzt, in
dein Land schicken, um davon Besitz zu nehmen; er wird dir nur drei Tage Frist
gönnen, und widersetzest du dich ihm, so wird es bald um dich geschehen
sein." Diesen Brief schickte der Sultan durch einen Boten ab, und als der
verweichlichte König ihn gelesen hatte, verlor er allen Mut und alle
Kraft, und wusste nicht, was beginnen, denn er hatte Niemanden, der ihm
Beistand leistete. Er ging ganz blass und entstellt zu seinen Frauen, und als
sie ihn fragten: "Was hast du, o König?" antwortete er:
"Ich bin nicht mehr König, ich bin nur noch ein Sklave," und las
ihnen weinend den eben erhaltenen Brief vor und fragte sie, ob sie ihm nun in
dieser Not zu raten wüssten? Die Frauen antworteten: "Wir sind ja nur
Weiber, wir haben weder Verstand noch Kraft genug, um in einer solche
schwierigen Sache einen Ausweg zu finden; du kannst nur bei Männern Rat
und Hilfe suchen." Jetzt sah der König erst ein, dass er durch die
Hinrichtung seiner Veziere, Gelehrten und Großen des Reichs ein
großes Unheil über sein Land gebracht hatte; er bereute sehr, was er
getan, und sagte zu seinen Frauen: "Mir geht es mit euch, wie dem Rebhuhne
mit den Schildkröten." Da fragten die Frauen: "Was war das
für eine Geschichte?" Darauf erzählte der König:
Geschichte des
Rebhuhns mit den Schildkröten
|
|