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Die erlöste Schlange

Märchen von Johann Wilhelm Wolf, Seite 1 ( von 2 )

Ein Bauer ging eines Morgens in aller Frühe ins Feld zur Arbeit. Die Sonne stieg auf und es wurde immer heißer, da legte er seinen Wams ab und neben sich auf die Erde. Als die Glocke Elf schlug, wollte er es wieder anziehen um nach Hause zu gehen, da sah er zu seinem Schrecken, dass eine Schlange darauf lag. Er schüttelte das Wams, doch sie war nicht wegzubringen, sie war wie angezaubert. Schon wollte der Bauer einen derben Fluch ausstoßen, da sprach die Schlange: "Ich weiche nicht von deinem Wams und von dir, bis du mir versprochen hast, mich zu heiraten." Das schien dem Bauern doch bedenklich und er sprach: "Das Heiraten ist eine wichtige Sache, welche man nicht also ohne Weiteres abmacht. Ich muss mich darüber besinnen und will dir Antwort sagen."
Er ging ins Dorf und zum Pfarrer, frug ihn, was er in der Sache zu tun habe? Der Pfarrer besann sich lange, las in einem großen Buche und sprach: "Gehe zurück und versprich der Schlange sie zu heiraten. Sie wird alsdann heute Nacht zu dir kommen und hast du Mut, so ist dein Glück gemacht. Du musst sie mit dem Schlage Zwölf mit beiden Händen fassen und über deinen Kopf in die Höhe halten, darfst sie aber nicht loslassen, komme, was da wolle." Rasch kehrte der Bauer in das Feld zurück und sprach zur Schlange: "Ich will dich heiraten." Da war sie ganz außer sich vor Freude und zappelte lustig, dann machte sie einen schönen Ring und war verschwunden.
Kaum hatte sich der Bauer Abends zu Bett gelegt, da kam die Schlange in die Kammer und legte sich zu ihm. Er lag ganz ruhig bis zwölf Uhr, da packte er sie fest und hielt sie hoch über seinen Kopf. Sogleich flog die Tür auf und sechs große dicke Schlangen schnellten herein und auf das Bett zu. Da wurde es dem Bauer warm und kalt, aber er fasste sich ein Herz und hielt aus, auch als die Schlangen sich an dem Bett heraufringelten und ihn mit ihren doppelten Zungen umzischten, als wollten sie all ihr Gift auf ihn speien. Das dauerte bis es Eins schlug, da waren sie plötzlich verschwunden. Die Schlange aber sprach: "Ich danke dir mein Erlöser, dass du mich so treulich beschützt hast. Halte nur noch zwei Nächte lang aus, dann bist du glücklich und ich noch mehr." Damit verschwand sie und es war keine Spur mehr von ihr zu sehen.
Als der Bauer am folgenden Abend zu Bette ging, war die Schlange wieder bei ihm. Um zwölf Uhr fasste er sie abermals und hielt sie hoch empor. Da flog die Türe auf und zwölf dicke schwarze Schlangen wanden sich herein und an seinem Bett herauf und ringelten sich um ihn, bissen nach ihm und seiner Schlange. Obwohl er diesmal mehr Mut hatte, wurde ihm doch fast schlecht, als er das kalte Gewürm an sich fühlte, aber er nahm sich doch zusammen, so gut er konnte und hielt aus bis die Glocke Eins schlug, da waren die Schlangen wie weggeblasen. Seine Schlange aber sprach: "Ich danke dir mein Erlöser, dass du so treulich ausgehalten hast, jetzt ist nur noch eine Nacht übrig, dann bin ich erlöst und du bist glücklich auf Lebenszeit." Als sie das gesagt hatte, war sie verschwunden.
Abends lag sie wieder bei ihm uns sah ihn so recht flehendlich an mit ihren klugen Augen. Da schwoll ihm der Mut und er sprach zu sich selbst: "Ehe ich sie dem garstigen Gezücht preis gebe, lasse ich mich lieber selbst von ihm fressen." Als es zwölf Uhr schlug fasste er sie und hielt sie hoch empor. Da sprang die Tür auf und in einem Augenblick war die ganze Kammer voll von den hässlichsten Schlangen, die zappelten und zischten und ringelten sich unter einander, dass es nicht zum Ansehen war. Der Bauer drückte die Augen zu und tat als höre und sehe er nicht. sie wanden sich ihm um Leib und Arme und Hals, zischten ihm ins Gesicht und bissen nach seiner Schlange, aber er ließ sich das Alles nicht anfechten.

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