|
Der graue
Wackerstein
Märchen von Johann Wilhelm Wolf, Seite 1 ( von 3 )
Ein armer Bauersmann hatte nur einen einzigen Sohn, den erzog er christlich und
ehrlich, wie es sich gebührt. Als der Knabe aber größer und
größer wurde, da wurde ihm seines Vaters Haus zu enge und er wollte
in die weite Welt. Sein Vater war ganz trostlos darüber und gab ihm die
himmelsbesten Worte, er solle im Lande bleiben und sich redlich nähren,
aber das half alles nichts, er blieb dabei, er wollte sich die Welt beschauen.
Da erzürnte sein Vater zuletzt und sprach: "Ei so wollte ich, dass du
drei Tage und drei Nächte in einem fort laufen müsstest und
könntest nicht aufhören."
Wie der Vater gesagt hatte, so geschah es. Der Bursche musste laufen und immer
fort laufen drei Tage und drei Nächte hindurch. Die Sonne stach am Tage
heiß und Nachts taute es kühl und nass, der Hunger und der Durst
plagten ihn, aber Alles half nichts, denn Elternfluch fährt nicht in den
Wind: er musste laufen bis zum Ende des dritten Tages. Zuletzt sank er
müde und matt nieder und war zum Sterben schwach; wo er Essen hernehmen
sollte, das wusste er nicht, denn er lag in einem dichten Walde. Da kam
plötzlich ein kleines graues Männchen daher gegangen, das blieb bei
ihm stehen und frug ihn, was ihm denn fehle: "Ach," sprach er,
"ich habe so argen Hunger und Durst, dass ich es nicht länger
aushalten kann." "Wenn das Alles ist, dann ist dir leicht
geholfen," sprach das Männchen; "geh nur mit mir und du sollst
vollauf haben, so viel du willst." Da raffte er seine letzten Kräfte
zusammen und hinkte hinter dem Männchen drein. Sie waren kaum fünfzig
Schritt weit gegangen, da kamen sie an ein ungeheures großes,
kohlrabenschwarzes Schloss; da gingen sie hinein, die breiten Treppen hinauf
und durch eine ungeheure Tür in einen hohen Saal. In dem ganzen Schloss
war kein Mensch zu hören noch zu sehen, alles war totenstill, in dem Saal
aber stand trotzdem ein köstliches Mahl auf einem hohen, hohen Tische und
um denselben drei hohe, hohe Stühle. "Nun lass uns nach Herzenslust
essen und trinken," sprach das Männchen, "aber rasch, denn allzu
lange dürfen wir uns nicht aufhalten." Da kletterten sie so schnell
sie konnten an den Stuhlbeinen in die Höhe, marschierten auf der Tafel
zwischen den Tellern und Schüsseln umher und aßen sich rundsatt.
Dann rutschten sie an den Stuhlbeinen wieder herab, liefen die Treppe hinunter
und zur Tür hinaus. Es war aber auch die höchste Zeit, denn die
Tür fuhr so hart hinter ihnen zu, dass sie den Schuhabsatz des
Jünglings abschlug. Der war jetzt wieder munter und guter Dinge und hatte
alles Ungemach der drei Tage rein vergessen. Er sprang mit dem Männchen in
den Wald hinein, immer weiter bis an ein dichtes Plätzchen. Da gab das
Männchen dem Jüngling ein Stöckchen und sprach: "In dem
Schlosse wohnen drei Riesen, das sind Menschenfresser. Wenn die nach Hause
kommen und sehen, dass Jemand aus ihren Schüsseln gegessen und aus ihren
Bechern getrunken hat, dann kommen sie in den Wald und suchen. Wenn nun einer
kommt und dich findet, dann muss er sich bücken, um dich aufzuheben und zu
fressen. Sei aber dann bei der Hand und schlage ihn mit dem Stöckchen auf
den Kopf, sogleich fällt er hin und regt kein Glied mehr." Da
wäre dem Jüngling fast das Herz in die Schuhe gefallen, er bat das
Männchen: "Ach bleibe doch bei mir, dann fürchte ich mich
weniger." Aber das Männchen sprach: "Du brauchst dich nicht zu
fürchten, die tun dir nichts, wenn du es machst, wie ich dir gesagt habe.
Ich darf nicht dabei sein, sonst wäre Alles umsonst." Da
schlüpfte das Männchen in eine Höhle, welche nahebei war und
wartete dort ab, was geschehe. Bald darauf rauschte es im Wald und knackte und
krachte, das war einer der Riesen, wohin der ging, musste er sich zuvor Luft
machen und strich so mit seinen Händen die Äste zur Seite, dass sie
und mit ihnen ganze Baumwipfel brachen. Als er dem Jüngling nahe kam und
ihn sah, schrie er: "Ach hab ich dich nun, hast du aus meiner
Schüssel gefressen, so will ich jetzt dich selber fressen.
|
|