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Marienkind
Märchen der Gebrüder Grimm, Seite 3 ( von 3 )
Am anderen Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut 'die
Königin ist eine Menschenfresserin, sie muss verurteilt werden,' und der
König konnte seine Räte nicht mehr zurückweisen. Es ward ein
Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht
verteidigen konnte, ward sie verurteilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das
Holz wurde zusammengetragen, und als sie an einem Pfahl festgebunden war und
das Feuer rings umher zu brennen anfing, da schmolz das harte Eis des Stolzes
und ihr Herz ward von Reue bewegt, und sie dachte 'könnt ich nur noch vor
meinem Tode gestehen dass ich die Tür geöffnet habe', da kam ihr die
Stimme dass sie laut ausrief 'ja, Maria, ich habe es getan!' Und alsbald fing
der Himmel an zu regnen und löschte die Feuerflammen, und über ihr
brach ein Licht hervor, und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden
Söhnlein zu ihren Seiten und das neu geborne Töchterlein auf dem Arm.
Sie sprach freundlich zu ihr 'wer seine Sünde bereut und eingesteht, dem
ist sie vergeben,' und reichte ihr die drei Kinder, löste ihr die Zunge,
und gab ihr Glück für das ganze Leben.
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