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Der Wolf und
die sieben jungen Geißlein
Märchen der Gebrüder Grimm, Seite 1 ( von 2 )
Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein, und
hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines Tages wollte sie in
den Wald und Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach 'liebe
Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf eurer Hut vor dem Wolf, wenn er
herein kommt, so frisst er Euch alle mit Haut und Haar. Er verstellt sich oft,
aber an seiner rauen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr
ihn erkennen.' Die Geißlein sagten, 'liebe Mutter, wir wollen uns schon
in Acht nehmen, Ihr könnt ohne Sorge fortgehen.' Da meckerte die Alte und
machte sich getrost auf den weg. Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an
die Haustür und rief 'macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und
hat jedem von Euch etwas mitgebracht.' Aber die Geißerchen hörten an
der rauen Stimme dass es der Wolf war, 'wir machen nicht auf,' riefen sie, 'du
bist unsere Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine
Stimme ist rau; du bist der Wolf.' Da ging der Wolf fort zu einem Krämer,
und kaufte sich ein großes Stück Kreide: die aß er und machte
damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür
und rief 'macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von
Euch etwas mitgebracht.' Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote in das
Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen 'wir machen nicht auf, unsere
Mutter hat keinen schwarzen Fuß, wie du: du bist der Wolf.' Da lief der
Wolf zu einem Bäcker und sprach 'ich habe mich an dem Fuß
gestoßen, streich mir Teig darüber.' Und als ihm der Bäcker die
Pfote bestrichen hatte, so lief er zum Müller und sprach 'streu mir
weißes Mehl auf meine Pfote.' Der Müller dachte 'der Wolf will einen
betrügen' und weigerte sich, aber der Wolf sprach 'wenn du es nicht tust,
so fresse ich dich.' Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die
Pfote weiß. Ja, so sind die Menschen.
Nun ging der Bösewicht zum drittenmal zu der Haustür, klopfte an und
sprach macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heim
gekommen und hat jedem von Euch etwas aus dem Wald mitgebracht.' Die
Geißerchen riefen 'zeig uns erst deine Pfote, damit wir wissen dass du
unser liebes Mütterchen bist.' Da legte er die Pfote ins Fenster, und als
sie sahen dass sie weiß war, so glaubten sie es wäre alles wahr, was
er sagte, und machten die Türe auf. Wer aber hereinkam, das war der Wolf.
Sie erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch,
das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das
fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das
siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte
nicht langes Federlesen: eins nach dem anderen schluckte er in seinen Rachen;
nur das jüngste in dem Uhrenkasten das fand er nicht. Als der Wolf seine
Lust gebüßt hatte, trollte er sich fort, legte sich draußen
auf der grünen Wiese unter einen Baum und fing an einzuschlafen.
Nicht lange danach kam die alte Geiß aus dem Walde wieder heim. Ach, was
musste sie da erblicken! Die Haustüre stand sperrweit auf: Tisch,
Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in
Scherben, Decke und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder,
aber nirgend waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander bei Namen, aber
niemand antwortete. Endlich als sie an das jüngste kam, da rief eine feine
Stimme 'liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten.' Sie holte es heraus, und es
erzählte ihr dass der Wolf gekommen wäre und die anderen alle
gefressen hätte. Da könnt ihr denken wie sie über ihre armen
Kinder geweint hat.
Endlich ging sie in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste Geißlein
lief mit. Und als sie auf die Wiese kam, so lag da der Wolf an dem Baum und
schnarchte dass die Äste zitterten. Sie betrachtete ihn von allen Seiten,
und sah dass in seinem angefüllten Bauch sich etwas regte und zappelte.
'Ach Gott,' dachte sie, 'sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot
herunter gewürgt hat, noch am Leben sein?'
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