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Aschenputtel
Märchen der Gebrüder Grimm, Seite 3 ( von 4 )
Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub und die Eltern und Stiefschwestern
wieder fort waren, ging Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach:
"Bäumchen rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich."
Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab, als am vorigen Tag. Und
als es mit diesem Kleide auf der Hochzeit erschien, erstaunte jedermann
über seine Schönheit. Der Königssohn aber hatte gewartet bis es
kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die andern
kamen und es aufforderten, sprach er: "Das ist meine Tänzerin."
Als es nun Abend war, wollte es fort, und der Königssohn ging ihm nach und
wollte sehen in welches Haus es ging; aber es sprang ihm fort und in den Garten
hinter dem Haus. Darin stand ein schöner großer Baum an dem die
herrlichsten Birnen hingen, es kletterte so behend wie ein Eichhörnchen
zwischen die Äste, und der Königssohn wusste nicht wo es hingekommen
war. Er wartete aber bis der Vater kam und sprach zu ihm: "Das fremde
Mädchen ist mir entwischt, und ich glaube es ist auf den Birnbaum
gesprungen." Der Vater dachte: "Sollte es Aschenputtel sein,"
ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf.
Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie
sonst auch, denn es war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte
dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider wieder gebracht
und sein graues Kittelchen angezogen.
Am dritten Tage, als die Eltern und Schwestern fort waren, ging Aschenputtel
wieder zu seiner Mutter Grab und sprach zu dem Bäumchen:
"Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich."
Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig und
glänzend wie es noch keins gehabt hatte, und die Pantoffeln waren ganz
golden. Als es in das Kleid zu der Hochzeit kam, wussten sie alle nicht, was
sie vor Verwunderung sagen sollten. Der Königssohn tanzte ganz allein mit
ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er: "Das ist meine
Tänzerin."
Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der Königssohn wollte
es begleiten, aber es entsprang ihm so geschwind, dass er nicht folgen konnte.
Der Königssohn hatte aber eine List gebraucht, und hatte die ganze Treppe
mit Pech bestreichen lassen: da war, als es hinabsprang, der linke Pantoffel
des Mädchens hängen geblieben. Der Königssohn hob ihn auf, und
er war klein und zierlich und ganz golden. Am nächsten Morgen ging er
damit zu dem Mann, und sagte zu ihm: "Keine andere soll meine Gemahlin
werden als die, an deren Fuß dieser goldene Schuh passt." Da freuten
sich die beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füße. Die
Älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und
die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht
hineinkommen, und der Schuh war ihr zu klein, da reichte ihr die Mutter ein
Messer und sprach: "Hau die Zehe ab, wenn du Königin bist, brauchst
du nicht mehr zu Fuß zu gehen." Das Mädchen hieb die Zehe ab,
zwängte den Fuß in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging hinaus
zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd, und ritt mit
ihr fort. Sie mussten aber an dem Grabe vorbei, da saßen die zwei
Täubchen auf dem Haselbäumchen, und riefen:
"Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck (Schuh):
Der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim."
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